Was nicht Propaganda ist

Mal direkt, mal ungenau und gelegentlich unvermeidbar plakativ: Der Kunstverein Artneuland zeigt in der Ausstellung „Art of Emergency“ Kunst, die auf den Gazakrieg reagiert. Eine kuratorische Auswahl oder Zensur fand nicht statt

VON MARTIN CONRADS

„Liberating Memory“ heißt die gemeinsam von der Stadt Berlin, der Europäischen Union und den Vereinten Nationen organisierte Luftbrücke in den Gazastreifen. Gerade fliegt wieder ein Rosinenbomber ein und wirft seine „Berlin“ getaufte Ladung ab, die angeblich von den belagerten Zivilisten willkommen geheißen wird. So will es zumindest die Beschriftung der Zeichnung des Berliner Künstlers Stephan Weitzel mit dem Titel „Gaza Airlift“. Tatsächlich aber sieht man junge Männer über eine Mauer flüchten, während das über der Szenerie auftauchende Flugzeug eher bedrohlich aussieht.

Es gibt nicht viele unter den mehreren Dutzend Arbeiten in der Ausstellung „Art of Emergency“, die sich ähnlich wie „Gaza Airlift“ an einem kritischen Kommentar zum Gazakrieg versuchen, der gleichzeitig politisch vielschichtig und künstlerisch interessant ist. Wenn bei „Art of Emergency“ meist nur einer dieser beiden Aspekte in den Arbeiten aufzufinden ist, dann wohl vor allem aufgrund der Kürze der Zeit, in der diese aktuelle Ausstellung in den Berliner Räumen des Kunstvereins Artneuland zustande kam.

Seit November 2006 betreibt die aus Israel stammende Künstlerin und Kuratorin Yael Katz Ben Shalom den Ausstellungsraum in der Schumannstraße. Als Künstlerin war sie in Berlin unter anderem mit ihrer 2004 in der ifa-Galerie gezeigten Videoarbeit über das ehemalige Gelände der Erfurter Firma Topf und Söhne zu sehen, die Öfen für NS-Vernichtungslager herstellte, sowie mit ihrem Film über Hitlers Leibwächter Rochus Misch. Als Kuratorin organisierte sie unter anderem mit dem Goethe-Institut Tel Aviv ein Projekt, bei dem Künstlerinnen und Künstler aus Israel, den palästinensischen Autonomiegebieten und Deutschland gemeinsam durch die neuen Bundesländer reisten. Mit Artneuland wagt sie seit nunmehr über zwei Jahren den Versuch eines Trialogs der drei monotheistischen Religionen in einem durch Stiftungen und Privatpersonen geförderten Kunstraum. Dort werden in Gruppenausstellungen zu Themen wie „Gott. Geld. Kunst. Kapital“ oder „Transcultural Paranoia“ vor allem Foto- und Videoarbeiten gezeigt.

Die aktuelle Ausstellung „Art of Emergency“ verzichtete bewusst auf die sonst gepflegte kuratorische Konzeption, damit aber auch auf jegliche Möglichkeit zur Reflexion dieses Fehlens. Der Gazakrieg veranlasste Ben Shalom dazu, das Galerieprogramm umzustellen und kurzfristig einen offenen Aufruf zur Teilname an einer Ausstellung zu veröffentlichen, der sich an alle Künstlerinnen und Künstler richtet, die sich „um die gemeinsame Tragödie der Menschen im Nahen Osten sorgen“. „Art of Emergency“, am 5. Februar eröffnet, zeigt Fotografien, Malerei, Installationen, Zeichnungen, und insbesondere Videoarbeiten, die einem somit recht offen gehaltenen Thema teils sehr direkt, teils unscharf und gelegentlich unvermeidbar plakativ entgegengekommen sind. Letzteres ist etwa über Heike Barndts digital bearbeitete Fotografie „Creeping Peace Process“ zu sagen. Auf ihr ist eine Katze mit umgeschnalltem Dynamitgürtel abgebildet, die sich einem jüdisch-orthodox aussehenden Paar nähert. Allzu versöhnlich wirkt hingegen Tanya Urys Fotografie „Sibling Rivalry“, auf der zwei Mädchen zu sehen sind, von denen das eine einen Davidstern an seiner Halskette trägt, während das andere eine Kefije anhat. Daniel Jacksons Gemälde „untitled (salam)“ dagegen, auf dem ein Hund mit offenem Maul zu sehen ist, aus dessen Sprechblase ein freundliches „as-salam alaykum“ (der Friede sei mit dir) kommt, scheint bewusst auf die Überschreitung der Grenzen politischer Korrektheit zu setzen.

Den Vorstellungen Ben Shaloms kommt Jackson damit entgegen. Politische Korrektheit, sagt sie, gehöre weder zum Programm der Galerie noch der Ausstellung, bei der Arbeiten nur dann abgelehnt wurden, wenn ihre Platzierung aus technischen Gründen nicht zu realisieren gewesen wäre. „Die Frage ist nicht, was Propaganda ist, sondern was heute nicht Propaganda ist“, fügt sie hinzu. Und vermerkt, dass sich bei den für „Art of Emergency“ eingesandten Arbeiten zudem jeweilige Radikalitäten gegenseitig herausfiltern würden. Viele der eingereichten Arbeiten kommen aus Berlin und Tel Aviv, wo Artneuland gegründet wurde und weiter ein Standbein unterhält. Dass daher nur vergleichsweise wenige Namen der teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler auf arabische Herkunft oder muslimischen Glaubenshintergrund schließen lassen, lässt jene Arbeiten umso mehr hervortreten, die arabische Sichtweisen zumindest zeigen. Hierzu gehört Tobias Beckers Video „Manara Square“. Dort sieht man palästinensische Jugendliche in einem Café in Ramallah sitzen, vor dem ein israelischer Militäreinsatz stattfindet, während ebendieser im Café auf al-Dschasira übertragen wird. Auch Sandra Hetzls Video „Inside“ zeigt junge arabische Männer, bei einem privaten abendlichen und so im Westen kaum gesehenen Gespräch über Intimes und Politisches im August 2006 in der syrischen Hauptstadt Damaskus. Die Ausstellung wäre zweifellos interessanter, wäre eine vergleichbare Arbeit von einem syrischen Videokünstler eingesandt worden. Vielleicht müsste Artneuland hierzu auch über noch nicht erschlossene Kanäle gelangen. Die Aussichten sind gut: Derzeit steht der Berliner Verein über Projekte außerhalb Berlins mit arabischen Stiftungen im Austausch.

Schumannstr. 18, 10117 Berlin, Di.–Fr. 11–19, Sa. 11–18 Uhr. Bis 5. März