Tourismus, Entwicklung, Klima

Klimakiller, Hedonisten und Internationalisten:Eine Diskussion auf dem taz-kongress mit: Christine Plüss, langjährige Geschäftsführerin des Basler Arbeitskreises Tourismus & Entwicklung (AKTE). Schweizer Fachstelle für Tourismus aus entwicklungspolitischer Sicht. AKTE engagiert sich im kritischen Dialog mit Tourismusunternehmen und für gerechte, faire Handelsbeziehungen im Tourismus. (www.akte.ch). Dietrich Brockhagen, Geschäftsführer von Atmosfair, einer gemeinnützigen GmBH, die Treibhausgasemissionen beim Fliegen errechnet und eine Kompensation anbietet. (www.atmosfair.de). Stefan Gössling, Professor an der Fachhochschule für nachhaltigen Tourismus in Eberswalde; Forscher an der Universität Lund in Südschweden. Edith Kresta, taz-Redakteurin, moderiert.

Mythen, Fakten und ein gordischer Knoten: In Bezug auf Emissionen von Klimagasen tragen Lohas mehr zum Klimawandel bei als der Durchschnittsbürger. Ein Diskussionsbeitrag

Die sogenannten Lohas (Lifestyle of Health and Sustainability) sind hauptverantwortlich für den Klimawandel! Das ist eine gewagte These, die eine statistische Erörterung erfordert. Hier zunächst einmal das Gesamtbild: Etwa je ein Viertel der durchschnittlichen Emissionen eines Bundesbürgers entsteht durch Wohnen, Mobilität, Essen und andere Konsumgüter. Insgesamt machen diese Emissionen wiederum geschätzte vier Fünftel der Gesamtemissionen aus, der Rest wird durch den öffentlichen Sektor verursacht. Damit werden pro Kopf in Deutschland laut Umweltbundesamt knapp 11 Tonnen CO2 pro Jahr emittiert, von denen 9,75 Tonnen dem Privatverbrauch zuzuschreiben sind.

Die Klimabilanz der Lohas sieht auf den ersten Blick positiv aus: Sie kaufen überdurchschnittlich viele „grüne“ Produkte, sie fahren mehr Fahrrad und Zug, kaufen kleinere Autos, grünen Strom und langlebigere Konsumgüter. Lohas sind aber auch mobiler und wohnen großzügiger. In der Summe trägt dies vermutlich dazu bei, dass Lohas in diesen Bereichen durchschnittliche Emissionen verursachen. Lohas sind aber auch eine überdurchschnittlich gebildete Bevölkerungsgruppe mit überdurchschnittlich hohen Einkommen. Statistisch gesehen sind das die Vielflieger. Und an dieser Stelle kippt die Bilanz, da jede Kurzreise mit mindestens 200 kg CO2, jede Fernreise mit bis zu 4 Tonnen CO2 zu Buche schlägt.

An dieser Stelle werden zwei Dinge deutlich:

Erstens gibt es bedeutende Unterschiede in den individuellen Emissionen durch Wohnen, Transporte und andere Konsumgüter. Diese Unterschiede sind allerdings nicht proportional. Der Unterschied zwischen den 10 Prozent der klimaintensivsten und den 10 Prozent der klimafreundlichsten Lebensstile macht für Essen, Wohnen und andere Konsumgüter einen Faktor 10 aus – für Transporte aber Faktor 100. Das heißt: Der Unterschied in den individuellen Emissionen ist im Bereich der Transporte weit größer als in den anderen Konsumbereichen, und dies ist vor allem ein Resultat der Flugreisen.

Zweitens sind etwa bis 2015 Emissionen von 3,5 Tonnen CO2 pro Mensch als nachhaltig anzusehen – die Lebensweise vieler Lohas ist daher auch ohne Flugreisen vermutlich nicht nachhaltig.

Da viele Reisen, insbesondere die der Lohas, in Entwickungsländer gehen – tragen diese denn zumindest zur Entwicklung in armen Ländern bei? Viele Akteure im Tourismus, zum Beispiel Fluggesellschaften und Tourismusorganisationen in den Urlaubsorten heben hervor, dass Tourismus für Entwicklungsländer von großer Bedeutung ist und nicht eingeschränkt werden darf: Laut Welttourismusorganisation ist der Tourismus die Haupteinnahmequelle in 46 der 50 ärmsten Entwicklungsländer.

Dies vereinfacht jedoch die Situation des Tourismus in Entwicklungsländern: Einerseits werden große Teile der Gewinne von transnationalen Konzernen oder nationalen Monopolisten abgeschöpft. Für die im Tourismus Beschäftigten sind extrem niedrige Gehälter die Regel – oft werden weniger als 2 Euro pro Tag bezahlt. Letztlich ist der Tourismus auch anfällig für Krisen, insbesondere in Ländern, die besonders abhängig vom Tourismus und dem Klimawandel deutlich mehr ausgesetzt sind. Hierzu zählen fast alle tropischen Inselstaaten, die vom Meeresspiegelanstieg besonders betroffen sein werden (Küstenerosion), während ihre Ökonomien in der Regel zunehmend auf ein Wachstum im Tourismus setzen.

Die Malediven können hier als Beispiel für die Komplexität dieser Prozesse gelten. Die Inseln sind vom Tourismus als Einnahmequelle abhängig, aber bislang haben die Eliten davon profitiert, während die Hälfte der Bevölkerung von weniger als 1 Euro pro Tag lebt. Pro-Kopf-Emissionen des Inselstaats sind noch immer gering (ca. 2 Tonnen CO2 pro Jahr), aber diese sind fast ausschließlich verursacht durch Touristen (Rückflüge und Hotelanlagen). Aufgrund des Klimawandels werden die Inseln bis zum Ende des Jahrhunderts vermutlich versunken sein: als Opfer oder Verursacher des Klimawandels?

Abschließend hier einige Thesen:

– Lohas leben in vielen Punkten sehr nachhaltig, aber die Bedeutung ihres Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung liegt mehr in den strukturellen Änderungen, die ihre Lebensweise induziert, also der Schaffung „grüner“ Märkte, als in der Aufgabe klimaintensiver Lebensweisen.

– In Bezug auf Emissionen von Klimagasen tragen Lohas vermutlich mehr zum Klimawandel bei als der Durchschnittsbürger. Zwar glauben Lohas an eine rigorose Klimapolitik, aber das fällt leicht, wenn man zu den hohen Einkommensgruppen gehört, die von steigenden Energiepreisen nicht wirklich betroffen sind.

– Ist damit das Ziel einer nachhaltigen Klimapolitik, die auf sozialer Gerechtigkeit bauen sollte, ein Paradoxon? Die Antwort ist: nein. Denn Lohas haben durch ihre gesellschaftliche Stellung und starke Präsenz in den Medien ein Klima geschaffen, in dem eine höhere Bereitschaft entsteht, sinnvoll zu handeln. Diese erfasst immer weitere Teile der Bevölkerung und selbst deutsche Tabus wie die Einführung eines Tempolimits auf Autobahnen oder die Besteuerung des Flugverkehrs werden jetzt von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung unterstützt.

Es gilt allerdings für diese Mehrheit auch eine andere Wahrheit, die sehr eindeutig in der Studie „Umweltbewusstsein in Deutschland 2008“ des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit dokumentiert ist: Während die meisten Deutschen umfassende Maßnahmen zum Klimaschutz befürworten, sind sie doch nicht bereit, ihre eigenen Lebensstile in dieser Hinsicht zu ändern.

– Wie in allen europäischen Ländern bleibt die Umsetzung des Klimaschutzes eine Aufgabe der Politik: Verhaltensänderungen dürfen nicht eine Aufgabe des Einzelnen bleiben, sondern es muss gemeinsame Regeln geben. Genau dieser Schritt der Umsetzung bleibt allerdings ein hypothetischer, denn die Macht der Lobbyisten in Deutschland scheint größer zu sein als der demokratische Mehrheitswille. Und das ist sicherlich nicht der Fehler der Lohas. STEFAN GÖSSLING

STEFAN GÖSSLING ist Professor an der Fachhochschule für nachhaltigen Tourismus in Eberswalde. Mit fünf Forscherkollegen, Wissenschaftlern an der südschwedischen Universität von Lund, hat er ausgerechnet, wie sehr die modernen Flugreisen das Klima belasten