Von Urnen und Frontfrauen

Mit einer Gedenkfeier wird heute in Rüdersdorf die Ehrengrabstätte für Johanna Elberskirchen und Hildegard Moniac eingeweiht. Lebensgefährtinnen waren sie, Sozialdemokratinnen, Sexualreformerinnen. Freche Frauen eben

Mehr als 30 Jahre lang verstaubte die Urne mit der Asche der 1943 verstorbenen Johanna Elberskirchen in einem Pferdestall in Rüdersdorf. Der Zufall wollte es, dass es alte Freundinnen waren, die die Urne 1975 fanden. Wohin damit?, fragten sie sich.

Die Antwort auf diese Frage enthüllt eine unbekannte Seite des Lebens in der DDR-Provinz. Denn kurz entschlossen griffen sich die Damen damals einen Korb, in dem sie die Urne versteckten, einen Spaten und ein paar Blumen und pilgerten in der Dämmerung zum Friedhof an der Rudolf-Breitscheid-Straße. Dort schaufelten sie ein Loch in das Grab von Hildegard Moniac, die 1967 verstorben war, legten die Urne hinein und kaschierten die Stelle mit Vergissmeinnicht und Veilchen. Wahrscheinlich waren die Friedhofsaktivistinnen gerührt nach dieser Aktion. So als gäbe es selbst im Tod noch ein Happy-End.

Es sind die Nachgeborenen, die die Beerdigten nicht ruhen lassen. Denn Elberskirchen taugt aus heutiger Sicht durchaus zur Frontfrau der früheren Lesbenbewegung. Moniac, in deren Grab ihre Asche damals gelegt wurde, war ihre Lebensgefährtin gewesen. Die beiden hatten ihre Homosexualität in Rüdersdorf nie verheimlicht.

Elberskirchen, 1864 in Bonn geboren, war eine eigensinnige, mutige und provokative Zeitgenossin. Sie wollte studieren. Das war für Frauen Ende des letzten Jahrhunderts nicht opportun. Nachdem sie sieben Jahre lang als Buchhalterin in einem kleinen Laden gearbeitet hatte, ging sie wild entschlossen in die Schweiz, schrieb sich 1891 in Medizin und 1897 in Jura ein. Ein Aufbruch für die Kaufmannstochter.

Elberskirchen machte sich im Anschluss an ihr Studium bis zur Machtergreifung der Nazis vor allem als Heilpraktikerin, Publizistin und politische Aktivistin einen Namen. Die Aufklärung und Emanzipation der Frau, die sich in ihrem Sprachgebrauch als „Revolution und Erlösung des Weibes“ liest, lag ihr am Herzen.

Die Themen, mit denen sich Elberskirchen befasst, waren damals so modern, wie sie heute noch aktuell sind: sexuelle Gewalt, Prostitution und gesellschaftliche Doppelmoral. Ökonomie, Kapitalismus und weiblicher Körper. Frauenstudium, Wahlrecht, Wissenschaftskritik. Außerdem gab sie die Zeitschrift Kinderheil heraus. Etwa ein Dutzend Bücher von ihr liegen vor, veröffentlicht teils unter dem Pseudonym Hans Carolan. Manches ihrer Werke wurde bis zu fünfmal aufgelegt.

Elberskirchen setzte sich offen für die Rechte der Homosexuellen ein, war aktiv in der „Weltliga für Sexualreform“ und unterstützte das „Wissenschaftlich-humanitäre Komitee“, das Lobbyarbeit machte für die Abschaffung des Paragrafen 175, der homosexuelle Beziehungen bei Männern unter Strafe stellte. Frauen fielen nicht unter diese gesetzliche Regelung, wobei es immer wieder Bestrebungen gab, sie mit aufzunehmen. Elberskirchen zierte sich nicht, ihre Liebe zu Frauen öffentlich zu machen. Das unterscheidet sie von den meisten anderen damaligen Frauenrechtlerinnen.

1920 kaufte sich Elberskirchen zusammen mit ihrer Lebensgefährtin Hildegard Moniac in Rüdersdorf ein Haus und eröffnete eine homöopathische Naturheilpraxis. Moniac war Gewerbeoberlehrerin und Mitglied der USPD. Unter den Nazis durfte sie deshalb ihren Beruf nicht mehr ausüben,. und auch Elberskirchen wurde es von den Faschisten verboten, die Berufsbezeichnung „Ärztin“ zu tragen. In Rüdersdof war bekannt, dass die beiden Frauen lesbische Nazigegnerinnen waren. Ob es neben den beruflichen Ausgrenzungen zu Repressalien kam, ist bisher nicht nachweisbar.

„Es scheint ein Netz von Personen gegeben zu haben, auf die sich die beiden während der Nazizeit verlassen konnten“, sagt Christiane Leidinger vom Arbeitskreis „DenkWiderstand“. Der promovierten Politologin ist es zu verdanken, dass die Geschichte der beiden Frauen nun erneut öffentlich gemacht wird. Sie hat Zeitzeuginnen gefunden, die ihr die Geschichte von der Nachbestattung von Elberskirchens Urne eidestattlich bestätigten.

Die Geschichte der versteckten Toleranz gegenüber lesbischem Leben in Rüdersdorf ist damit nicht zu Ende geschrieben. Wohl aber wird den beiden Vorreiterinnen heute ein kleines Denkmal gesetzt. Der Ort verleiht der letzten Ruhestätte der beiden Frauen den Status eines Ehrengrabs. So hat es der Gemeinderat beschlossen. Die Gedenkfeier, bei der medizinische und feministische Texte von Elberskirchen rezitiert werden, spielt mit der Idee, dass sich mehr subversiver Charakter in der Provinz versteckt, als gemeinhin angenommen.

WALTRAUD SCHWAB

Die Gedenkfeier findet heute um 14 Uhr auf dem Friedhof an der Rudolf-Breitscheid-Straße in Rüdersdorf statt. Ab S-Bahnhof Friedrichshagen mit der Tram 88 in Richtung Alt-Rüdersdorf