Auf dem Col de l‘Éclat

Der Radrennfahrer Jens Voigt fühlt sich von ARD-Reporter Hagen Boßdorf geschmäht, darf das aber beim Öffentlich-Rechtlichen nicht aussprechen

AUS L’ALPE D’HUEZ SEBASTIAN MOLL

Jan Ullrich und Andreas Klöden genossen beim 15 Kilometer langen Zeitfahren hinauf nach L’Alpe d’Huez das Spalier der 500.000 jubelnden Fans, bei denen pinkfarbene T-Mobile-Trikots besonders beliebt waren. Zahlreiche über Campingbusse gespannte Bettlaken sollten Jan Ullrich ermutigten, den Kampf um das gelbe Trikot nicht aufzugeben. „Was sind schon sieben Minuten, Jan?“, war etwa zu lesen.

Eine weniger angenehme Fahrt hatte unterdessen Jens Voigt. Sich durch das hautenge Spalier zu kämpfen war für den Berliner ein Spießrutenlaufen der übelsten Sorte. Als „Arschloch“ wurde er beschimpft, als „Schwein“ und als „Verräter“, ein Transparent titulierte den sympathischen Fahrer des Teams CSC gar als „Judas“. Zu allem Übel hatte Voigt auch noch einen Reifenschaden und musste minutenlang mit seinem defekten Rad auf der Straße stehen und die Beleidigungen seiner Landsleute über sich ergehen lassen. „Am liebsten hätte ich mich in den Straßengraben gesetzt und geheult“, sagte er am nächsten Morgen am Start, noch immer sichtbar schockiert. Dabei hatte er nichts anderes getan, als seinem Beruf nachzugehen.

Am Vortag, auf der Etappe von Valréas nach Villard de Lans war Voigt eine seiner tapferen Attacken geritten, mit denen er seit Beginn die Tour de France belebt. Etwa 60 Kilometer vor dem Ziel setzte ihm allerdings Jan Ullrich hinterher und holte ihn etwa 20 Minuten später ein. Daraufhin erhielt Voigt per Funk die Anweisung von seinem Direktor aus dem Mannschaftswagen, Bjarne Riis, sich zurückfallen zu lassen.

Das Team war zufrieden

Denn hinter Voigt lag eine Gruppe mit Voigts Mannschaftskapitän Ivan Basso, einem Konkurrenten Ullrichs in der Gesamtwertung. Und da ein Angriff von Jan Ullrich eine ernste Sache für Ivan Basso ist, sollte Voigt Basso helfen, Ullrich wieder einzuholen. Es gelang, das Team CSC war zufrieden.

Der Fernsehkommentator der ARD, Hagen Boßdorf, fand hingegen, dass die nationale Loyalität Voigts gegenüber seinem „Schulkumpel“ Ullrich aus der Kinder- und Jugendsportschule der DDR seine Loyalität gegenüber seinem Arbeitgeber hätte übertrumpfen sollen. Im offiziellen Tour-Forum wird er mit den Worten zitiert: „Also, was der Jens Voigt da macht, das ist wirklich wie Verrat … an … einem Freund … mit dem er bei Olympia gefahren ist.“ Die Aufforderung, seinem Arbeitgeber den Dienst zu verweigern, weil in der gegnerischen Mannschaft ein Deutscher steht, widerspricht jeglicher Logik des Sports: „Das hat Bjarne Riis sehr clever gemacht“, lobte sogar Walter Godefroot, der Sportdirektor von Ullrichs Team T-Mobile, die taktische Entscheidung seines Konkurrenten, Voigt zurückzuholen.

Problematisch sind im Licht der Bemerkungen Boßdorfs hingegen dessen Verquickungen mit Jan Ullrich und mit dem Team T-Mobile.

Die ARD sponsert bereits seit Jahren das Team – was bei der Tour-Berichterstattung nicht eben journalistische Unabhängigkeit garantiert. Darüber hinaus ist Hagen Boßdorf der Ghostwriter von Jan Ullrichs Autobiografie „Ganz oder gar nicht“. Ullrichs Abschneiden bei der diesjährigen Tour ist sicher nicht verkaufsförderlich für das Buch, ebenso wie es der Einschaltquote der ARD nicht zuträglich ist.

Immerhin bemühte sich am Abend des Mannschaftszeitfahrens der ARD-Sportkoordinator Werner Zimmer persönlich in Jens Voigts Mannschaftshotel, um die Situation zu bereinigen. Etwas zu spät allerdings, den Voigt hatte seine Wut über die ARD bereits gegenüber der schreibenden Presse kundgetan. Eine Hexenjagd habe Boßdorf angezettelt, wetterte der zutiefst verletzte Rennfahrer.

Zimmer wollte indes das Problem Boßdorf und jenes der Sponsoringpolitik seiner Anstalt nur bedingt wahrhaben: „Alles, was Boßdorf gesagt hat“, meinte Zimmer, „konnte man so sagen.“ Immerhin räumte er ein, dass man das Sponsoring und die schriftstellerische Tätigkeit seines Moderators als Problem sehen könne. In der Tat, das kann man. Woran auch die neueste Meldung nichts ändert, Voigt und Boßdorf hätten sich gestern wieder ausgesöhnt.