Die Zeit heilt nicht

So wie der Schecken nie vollständig vergessen werden kann, ist es auch unmöglich, ihn im Gedächtnis zu behalten: Das Metropolis zeigt „Hiroshima mon amour“ von Alain Resnais

Von Doro Wiese

Am Anfang ist Haut zu sehen, von Sand und Schweiß bedeckt, ineinander verschränkte Arme und Beine: Die Intimität von Liebenden, die mühelos die Grenzen des Eigenen überwinden. Sie sind sich nahe, so nahe, dass sie zueinander gehören. Doch die einsetzenden Stimmen aus dem Off erzeugen eine Differenz von Zeit und Ort, sprechen über nicht Anwesendes, kehren den Blick nach innen, unter die Haut, wohin die Kamera nicht dringen kann: „Nichts hast du gesehen in Hiroshima“, sagt die eine Stimme, „Ich habe gesehen“, berichtet die andere. So beginnt Hiroshima mon amour von Alain Resnais, der heute und morgen im Metropolis gezeigt wird.

Auch im weiteren Verlauf des Films, für den Marguerite Duras das Drehbuch geschrieben hat, ist es das Spiel der Differenzen, das in Szene gesetzt wird. Das Ungleiche und die Ungleichzeitigkeiten sind es, die Resnais interessieren. Durch das Mittel der Montage werden die unterschiedlichsten Zeitabschnitte und Sachverhalte nebeneinander gesetzt, ohne ihre Eigenständigkeit zu verlieren. Es sind Bilder, die von Frankreich und Japan erzählen, von Krieg und Leid in beiden Ländern.

Verbrannte Haut und geschmolzenes Eisen, schwarze, geborstene Steine, entstellte Leiber, büschelweise Haare, Tote und Verletzte stehen für den Schrecken Hiroshimas ein. Frankreich dagegen birgt ein anderes Trauma, zeigt Birkenwälder und intakte Häuser, in denen vor allem das fehlt, von dem die Rede ist: Ein deutscher Soldat. Geliebt habe sie ihn, sagt die Stimme der Frau, er sei erschossen worden und sie verrückt. Geschoren, entehrt, eingesperrt in einen Keller verbringt sie die Zeit als entrückte Ewigkeit, weil sie mit einem Deutschen im okkupierten Frankreich zusammen war.

Weil jedoch die Ereignisse, über die berichtet wird und von denen die Bilder sprechen, Vergangenheit sind, muss mit Vehemenz die Ungleichzeitigkeit von gegenwärtigem Bild und erzählter Geschichte hervorgekehrt werden: Nur so kann die Differenz wirksam werden. Der gesprochene Satz der Erzählerin spricht hier Bände: „Ich habe die Menschen beobachtet“, sagt sie, „sie betrachten Erklärungen, Beschreibungen anstelle der Wirklichkeit.“

In Hiroshima mon amour ist es die Unmöglichkeit des Erinnerns und des Vergessens, die sich aus der Disjunktion von Bild und Ton extrahieren lässt. So wie es unmöglich ist, das Grauen jemals zu vergessen, kann es auch nie vollständig im Gedächtnis bleiben, muss es in der Zeit entschwinden. „Zuerst werde ich deine Augen vergessen, dann deine Stimme, bis du nur noch ein Nachklang einer Melodie bist“, sagt die Frau im inneren Zwiegespräch mit dem verstorbenen Geliebten.

Im Zwischenraum dieser Unmöglichkeit angesiedelt ist ihr Zwiespalt. Sein Widerspruch löst sich nur im Trauma, durch das in ihrem Leben das Vergangene fortbesteht. Die fortwährenden Wiederholungen von Bild und Ton, die wiederkehrende Benennung der Chiffren von Hiroshima und Nevers, selbst Grabsteine von Worten über vergangenem Leben, stehen als sein Zeichen. Die ästhetischen Mittel sind in Hiroshima mon amour keine Repräsentationen. Sie sind Wegweiser für eine Haltung, die Franz Kafka in seinem Tagebuch notierte: „Wir Menschen sollten voreinander so ehrfürchtig, so nachdenklich stehen, wie vor dem Eingang zur Hölle.“

Heute und morgen, 17 Uhr, Metropolis