Aufbauhilfe über den Äther

Radio für den Irak, produziert auf einem Berliner Dachboden: Die private Initiative „Telephone FM“ soll der Jugend von Bagdad eine Welt jenseits religiöser oder politischer Bevormundung öffnen

VON JAN-HENDRIK WULF

Am vergangenen Wochenende startete der auf sechs Wochen angelegte Sendebetrieb von „Telephone FM“. In einem improvisierten Studio soll hier an fünf Tagen der Woche ein jeweils 90-minütiges arabisches Programm für junge Iraker produziert werden. Das Provisorium ist Programm: „Telephone FM“ sendet nicht im öffentlich-rechtlichen Auftrag, sondern auf private Initiative hin: „Die Iraker schalten ab, wenn du geradeheraus politisch bist“, erläutert der Berliner Unternehmer und Medienkünstler Klaas Glenewinkel sein jüngstes Radioprojekt.

Auf einer Reise in den Nachkriegsirak stieß der 33-jährige Berliner im Juni letzten Jahres auf eine überraschend lebendige Kultur- und Musikszene. Was ihm dort allerdings fehlte, war ein Jugendsender, in dem sich die Generation der 20- bis 35-Jährigen in ihren Wünschen, Zielen und Lebensentwürfen selbst artikulieren kann. Nach seiner Rückkehr versammelte Glenewinkel daher gemeinsam mit der Psychologin Anja Wollenberg ein zwölfköpfiges irakisch-deutsches Team aus Technikern, Journalisten und Islamwissenschaftlern, um von Berlin aus ein Radioprojekt für den Irak zu konzipieren. Das ursprüngliche Ziel, direkt in Bagdad auf Sendung zu gehen, scheiterte vorerst an den Sicherheitsbedenken des Auswärtigen Amtes.

Für Glenewinkel ist das kein Beinbruch. Denn nebenher betreibt der alerte Netzwerker die auf Internet-Übertragungen spezialisierte Firma „streamminister“. So wird „Telephone FM“ jetzt in Berlin produziert, per MP3-Stream nach Bagdad transferiert und dort von dem lokalen Musiksender „Hot FM“ als Programmfenster ausgestrahlt.

Über Bekannte suchte man drei einheimische Radiomacher und lud sie nach Deutschland ein. Sie gingen, kaum in Deutschland angekommen, lieber erst einmal auf Tauchstation. Denn als bekannt wurde, dass die Abteilung „Islamdialog“ des Auswärtigen Amtes das deutsch-irakische Pilotprojekt mit 83.000 Euro fördern wollte, setzte ein öffentliches Interesse ein, das den Irakern wegen der politischen Situation in ihrem Heimatland nicht geheuer erschien.

In Bagdad läuft derweil ein Reporter mit Mobiltelefon durch die Stadt und führt Interviews mit Musikern, Künstlern und jungen Unternehmern. „Wir wenden uns an eine junge Generation, die ein emanzipiertes Verhältnis zu Religion und Politik hat“, versucht Anja Wollenberg die Zielgruppe des Projekts zu bestimmen. Weil die Radiomacher auf deutscher Seite selbst neugierig sind, für wen sie eigentlich senden, ist das ganze Projekt auf wechselseitige Kommunikation mit den Hörern hin angelegt. „Ob die das Programm gut finden oder nicht, erfahren wir durch die Call-in-Sendungen und Kommentare auf der Internetseite“, erläutert Wollenberg.

Obwohl auch anspruchsvoll produzierte Hintergrundsendungen und Expertengespräche im Berliner Studio geplant sind, soll sich „Telephone FM“ auf den mit religiösen und politischen Sendern gesättigten irakischen Frequenzen als populärer Unterhaltungssender mit humorvoller Moderation etablieren.

Am ersten Tag sendete „Telephone FM“ Interviews mit einer Al-Dschasira-Redakteurin, mit dem Sänger der irakischen Boyband „Unknown to No One“ und mit dem Betreiber eines Internetcafés in Bagdad. Im „Berliner Tagebuch“ berichtet ein irakisches Moderatorenduo von ihren ihren Eindrücken aus der fremden Stadt: „Die Leute werden sich schlapplachen, was ihre Landsleute in Deutschland beobachten“, sagt die 27-jährige Islamwissenschaftlerin Nesrine Shibib aus dem Berliner Team. Außerdem sprechen die Moderatoren in diesem Programmteil kein Hocharabisch, sondern Bagdader Dialekt: „Sie fanden das zuerst unseriös, haben aber schnell gemerkt, dass sie damit viel zynischer und humorvoller rüberkommen“, sagt Shibib.

Ob „Telephone FM“ nach der Pilotphase auf Sendung bleibt, steht völlig in den Sternen. Wollenberg denkt über einen mobilen Sendebetrieb in verschiedenen europäischen Städten nach. Fernziel bleibt ein von Irakern betriebenes Radio in Bagdad. Angeblich soll sich der Reporter Dawoud bereits vor Ort um eine Sendelizenz bemühen. Glenewinkel weiß, dass er und sein Team Neuland betreten: „Für die Bagdader ist es völlig neu, auch die Hörerschaft einzubeziehen. Das kannst du nicht leisten, wenn du dich an bestehende Institutionen hältst. Darauf bin ich stolz. Es ist daher für uns alle eine Überraschung, was da jetzt entsteht.“

Im Internet: www.telephonefm.com