Emanze diskriminiert Macho

Gender- und Diversity-Trainings gehören in den USA auf den Stundenplan von Verwaltungen und Unternehmen. Zunehmend wird auch hierzulande das Bewusstsein für Vielfältigkeit und Antidiskriminierung trainiert. Aber auch der gute Wille, niemanden zu benachteiligen, hat in der Praxis seine Tücken

VON IMKE SCHRIDDE

„Ein ‚Walk of Gender‘ soll in Berlin entstehen. Gestiftet von einer reichen alten Dame aus New York. Weil sie in Berlin in den 20er-Jahren am Hirschfeld-Institut für Sexualwissenschaft eine Menge lernte.“ Das ist frei erfunden und nur eine von vielen kuriosen Geschichten, die sich Thomas Kugler zuweilen für sein Training ausdenkt. Er tut das, um die Teilnehmer ins Thema hineinzuziehen. Auf die Geschichte mit der alten Lady ist er besonders stolz. Kugler ist ausgebildeter Gender- und Diversity-Trainer.

Gender Mainstreaming und Diversity Management – diese beiden Schlagwörter gewinnen in deutschen Unternehmen und im öffentlichen Dienst zunehmend an Bedeutung. Hier bedeutet „Gender“ (englisch für die soziokulturellen Aspekte der Geschlechtlichkeit) nicht nur, „die Frauen“ oder „die Männer“ in den Blick zu nehmen, sondern Menschen in ihrer gesamten Unterschiedlichkeit zu berücksichtigen. Das Ziel von Gender Mainstreaming ist es, dass sich nicht mehr nur einige wenige Akteure mit Gleichstellung befassen, sondern alle Bereiche Gleichstellung systematisch mitdenken. So steht es auch auf den Internet-Seiten des Familien- und Frauen-Ministeriums. Dort gibt es auch einen Link zum Diversity Management. Diversity bedeutet übersetzt schlicht und einfach Vielfalt. Die Diversity-Philosophie stellt das Geschlecht explizit mit den Bereichen Alter, Ethnie, sexuelle Orientierung, religiöse Glaubensprägung oder Behinderung auf eine Stufe. Was diese Kriterien betrifft, sollen demnächst auch die Bundesbürger vor Benachteiligung im Beruf geschützt sein – mit einem Antidiskriminierungsgesetz, das im Herbst verabschiedet werden soll. Auch die Diversity-Philosophie will – wie das Gender Mainstreaming – eine differenzierte Wahrnehmung erreichen. Allerdings stellen Diversity-Programme dabei den ökonomischen Nutzen oft deutlich in den Vordergrund.

Weiter geht die Gender-Übung nach der Vorgeschichte mit der alten Dame so: Tunte, Zicke, Warmduscher, Emanze – die Teilnehmer sollen diese Begriffe in Zweierteams darstellen. Die Teilnehmer wissen, was zu tun ist. Ein Mann liegt bäuchlings auf dem Fußboden, eine Frau – in Siegerpose – hat einen Fuß auf seinem Rücken abgestellt: Fertig ist das Klischee der Emanze.

Hat er schon mal erlebt, dass so ein Spiel einem Teilnehmer zu blöd ist? Ein entrüsteter Blick vom Trainer: „Als Spiel würde ich das nicht bezeichnen.“ In den „Wahrnehmungsübungen“ gehe es darum, die Teilnehmer für das Thema Vielfalt zu sensibilisieren, erklärt Kugler. Es gebe immer noch sehr viele, die sich mit dem Thema noch nie auseinander gesetzt haben. Das Fazit der anschließenden Diskussion: Innerhalb der dargestellten Begriffe findet bereits ein Überschreiten von Geschlechtergrenzen statt. „Aber wenn Frauen Verhaltensweisen zeigen, die eigentlich Männern zugeschrieben werden – oder auch umgekehrt –, dann sehen wir das gleich als komisch an und machen Schimpfwörter draus“, gibt Kugler zu bedenken.

Trainings gibt es für Führungskräfte ebenso wie für Beamte oder Angestellte. Zuletzt hat Kugler das Verwaltungspersonal in Berliner Bezirksämtern trainiert. In zweitägigen Workshops mit Wahrnehmungsübungen wie dem „Walk of Gender“, Diskussionen und Vorträgen. Grundlage für dieses Projekt sind zwei vom Europäischen Rat im Jahr 2000 beschlossene Richtlinien gegen verschiedene Formen von Diskriminierung. Eigentlich hätte daraus gemäß den EU-Vorgaben bereits Anfang 2003 ein nationales Antidiskriminierungsgesetz entstehen müssen. Es scheiterte. Die EU-Richtlinien lassen sich aber auf lange Sicht nicht umgehen, deshalb jetzt der neue Versuch. „Mit einem Antidiskriminierungsgesetz gäbe es natürlich noch eine viel stärkere Begründung, Diversity-Trainings durchzuführen“, meint der Berliner Projektleiter Andreas Germershausen.

In Südafrika und den USA existieren gesetzliche Vorgaben für Diversity-Programme seit mehr als 20 Jahren; in den USA seit der Durchsetzung der affirmative action, einer Art Quotenpolitik für Minderheiten, die Rassen- und Geschlechterdiskriminierung vorbeugen sollte. Damals entstand ein neuer Berufszweig, „eine neue Industrie“, sagt Bernd Voigt von der Universität Potsdam. Er beschäftigt sich als Diplom-Psychologe bereits seit knapp drei Jahren mit den Themen Diversity Management und Diversity-Trainings.

In den USA gibt es sogar Trainings-Reihen auf Video. In der Boomzeit des Diversity-Trainings, Anfang der 90er-Jahre, waren die Abnehmer der Videos staatliche Bildungseinrichtungen. Heute müssen auch Firmen aus der Privatwirtschaft – insbesondere wenn sie an die Börse gehen wollen – vorweisen, dass sie Diversity in ihrem Leitbild verankert haben. 80 Prozent aller US-Firmen setzen zurzeit Diversity-Trainings ein.

Der Gang an die New Yorker Börse ist auch der Grund, warum einige deutsche Firmen damit anfingen, Diversity-Beauftragte einzustellen und Trainings durchführen zu lassen. Auch deutsche Unternehmen, die Tochterfirmen in den USA kauften, müssen die dort geltenden rechtlichen Vorgaben erfüllen. „Derartige Gesetze wird es demnächst aber auch in Deutschland geben“, vermutet Diversity-Forscher Voigt. Die Motivation der Firmen sieht er kritisch: „Häufig handelt es sich hierbei um Alibi-Trainings – in den USA wie auch in Europa.“ Die gesetzliche Vorgabe, Diversity im Leitbild zu verankern, würden viele Firmen mit der Einstellung von nur gering qualifizierten Diversity-Beauftragten abhaken. Und die erfüllen ihre Aufgabe dann halbherzig. Oft würden Diversity-Trainings auch nur eingesetzt, um in der Öffentlichkeit eine bessere Lobby zu bekommen. Aber Voigt ist sich sicher: „Diversity-Management bringt ökonomische Vorteile mit sich.“

Die Unternehmen, die freiwillig gezielt Schwule, ältere oder Menschen mit Behinderungen einstellen und Trainings anbieten, tun das nicht aus Nächstenliebe. Die Trainings zielen zwar innerhalb eines Teams darauf ab, ein besseres Arbeitsklima zu schaffen. Aber das heißt auch, Arbeitsergebnisse zu optimieren und den Umgang mit den Kunden zu verbessern. Die Diversity-Philosophie verspricht: Je heterogener ein Team ist, umso besser spiegelt es den zunehmend vielfältigen Markt im kleinen und kann ein umso breiteres Publikum ansprechen. Besonders anschaulich wird das derzeit in der Werbung, wo zunehmend Schwule, Lesben oder Alleinerziehende direkt angesprochen werden. „Diversitäten zu schätzen und zu nutzen“, nennt das die Diversity-Trainerin Angelika Plett. Mit ihren Übungen will sie die Mitarbeiter eines Unternehmens erst einmal auf kleine, verdeckt vorhandene Verschiedenheiten hinweisen: „Ist jemand auf dem Land aufgewachsen?“, fragt sie. Und: „Was könnte das für das Team bringen?“

Auch Plett hat eine besondere Geschlechter-Übung im Repertoire – ebenfalls eine Art „Walk of Gender“: In zwei Gruppen stehen sich die Kollegen gegenüber. Frauen auf der einen, die Männer auf der anderen Seite. Die Trainerin nennt Eigenschaften wie „sich mit Technik beschäftigen“ oder „Fenster putzen“. Wer das gern tut, macht einen Schritt nach vorne. Für einige Teilnehmer kämen da sehr überraschende Ergebnisse heraus, erzählt Plett. Männer waschen durchaus gerne ab, hassen es aber, ständig für nicht funktionierende Lampen zuständig zu sein.

Zunehmend ist das Alter ein Thema bei den Trainings. Zusammen wird diskutiert, wie ältere Kollegen am besten eingesetzt werden könnten. Auch hier soll das Training bewusst machen: Ein alter Mitarbeiter ist nicht gleich ein alter Mitarbeiter – mit all den dazugehörigen stereotypen Eigenschaften.

Ein einmaliges Training bringe natürlich noch keine ökonomischen Erfolge, sind sich Trainer und Forscher einig. Voigt: „Bis Wettbewerbsvorteile entstehen, vergehen Jahre.“ Doch es gibt auch kurzfristige Effekte: Die Klagekosten verringern sich, weil sich weniger Mitarbeiter ausgegrenzt fühlen oder unzufrieden sind. Allerdings – so zeigt die Erfahrung in den USA – können sich die Klagen von Beschäftigten durch die Diversity-Trainings auch vermehren, wenn das Training unausgewogen ist und die Schwerpunkte ungleich verteilt sind. Dann fühlen sich die Frauen zum Beispiel gegenüber den Schwulen benachteiligt. Oder umgekehrt.