Seien Sie blöd!

Sportwettbüros boten viel Geld für einen griechischen EM-Sieg. Das müssen sie jetzt ausschütten,vor allem an griechische Patrioten. Und wir mit unseren Statistiken schauen in die Röhre

VON KLAUS RAAB

Wir bekennen: Wir haben gewettet. Und es ist also nun tatsächlich so, dass dabei niemand aus dem Haus vorab auf einen EM-Sieg von Griechenland gesetzt hat. Der Pott fällt damit an das taz-interne Wettbüro. Dieses spendiert die Hälfte für einen griechischen Abend, mit Ouzo und Raki. Die andere Hälfte des gesammelten Kleingelds bleibt bei den Organisatoren.

Wir seien ein Volk von Kandidaten, wusste schon Hape Kerkeling. Beispiele: „Wer wird Millionär“, das unter dem Label Wissenstest als kein Glücksspiel bekannte Glücksspiel. Der Zonk. Der Wettkönig. Und: die EM. „Der Umsatz wurde im Juni durch die EM verdreifacht“, heißt es bei interwetten.com, was bedeutet, dass es viele Geldwetten auf Fußballergebnisse gab. In einer Zeit, in der gefälligst alle kürzer zu treten haben, tun wir einen Teufel und wetten, dass Frankreich Europameister wird. Ein todsicherer Tipp. Nur mehr Tod als sicher. Vier Euro hätte es bei interwetten.com vor der EM für einen auf die Franzosen gesetzten Euro gegeben. Nun haben aber eben die Griechen gewonnen. Wer das vor dem Turnier tippte, ist kein Experte, und wenn doch, dann nicht dicht. Dafür nun reich. Quote nämlich: fünfzig zu eins.

Die griechische Nationalmannschaft ist zum ersten Mal Europameister, alle Statistiken sind widerlegt, und griechische Patrioten, die ihren Patriotismus über die Wahrscheinlichkeitsrechnung stellten und auf ihre Mannschaft wetteten, haben sich eine goldene Nase verdient. „Es gab“, sagt Wolfgang Feldner von Oddset, „Leute, die schon vor der Europameisterschaft auf Griechenland gesetzt haben.“ Oddset, seit etwa fünf Jahren im Angebot der staatlichen Lotterie, bewertete die Griechen damals mit einer Quote von 10 zu 425 Euro: Für 10 gesetzte Euro gibt’s jetzt 425. Bei betandwin.com lag die Quote für einen griechischen EM-Sieg im September 2002 gar bei 1 zu 101. Völlig irrationalen Blödsinn wetten also: auch ein Job. Oder nennen wir es, des Gesetzes wegen: ein dummerweise mit einer Nebeneinnahmequelle verbundenes Hobby.

Und da sind wir wieder bei der Diskussion der Feuilletons: Fußball, das Abbild der gesellschaftlichen Entwicklung? Jawohl, so sieht’s aus. Man muss was wagen, lehrt diese EM, sein Erspartes auf totalen Quatsch setzen, und nicht glauben, dass „Der große Preis“ nur eine Fernsehsendung war. Deutsche tippten auf Deutschland, Frankreich, England und die wagemutigsten unter ihnen auf Tschechien – Sicherheitsdenken in Zeiten der Bedrohung durch den Terror. Die Griechen scheren sich nicht weiter um Quoten, kriegen’s vielleicht nicht gebacken, ihr Radstadion für Olympia rechtzeitig fertig zu stellen, aber sie glauben an sich, und wirke es noch so albern.

Im Nachhinein sagen sie nun schöne Sätze, die belegen sollen, dass es immer klar war, dass nur Griechenland gewinnen konnte: „Sie dürfen nicht vergessen“, sagt etwa Dimitrios Pergialis, der ein griechisches Magazin in Stuttgart herausgibt, „die Griechen hatten vor der EM schon viele Spiele ohne Niederlage.“ Stimmt schon. Aber gesprochen mit der Weisheit der Statistik, die bei den beiden EM-Teilnahmen griechischer Nationalmannschaften zuvor nur Niederlagen zu verzeichnen hatte: Na und? Pergialis hat natürlich auch einen Kumpel, der vor der EM auf einen griechischen Sieg setzte.

„Die Griechen sind ein sehr wettfreudiges Publikum, sagen wir’s mal so“, sagt Wolfgang Feldner von Oddset. Oddset muss fürs Finalergebnis, das vorher als unwahrscheinlich galt, deswegen mehr Geld ausschütten als reingekommen war. Trotzdem, sagt Feldner, sei diese EM für Oddset ein Erfolg; „ein Geben und Nehmen“. Schließlich haben ja auch genug bekloppte Experten auf Frankreich getippt.

Lassen wir die Fußballer sprechen. Die wussten tatsächlich schon immer, wie man’s macht. Mario Basler etwa. Er berichtete vom Trainingslager der deutschen Nationalmannschaft einst: „Wir zocken nie um viel Geld. Höchstens um 3.000 Mark.“ Oder Matthias Sammer: „Für Statistiken habe ich mich schon früher nicht interessiert. Statistiken sind dafür da, um gebrochen zu werden.“

Würden wir das mal beherzigen, wäre das, gewohnt fußballfeuilletonistisch überinterpretiert, die Rettung für dieses Land: Hirn ausschalten. Zahlen vergessen. Geld in die Mitte schmeißen.Was zählt, is aufm Platz. Es war ein griechischer Fan, der gestern in einem Beitrag des ARD-Morgenmagazins diesen Hinweis freudelallend unterstützte; mit der Botschaft nämlich, ihr, also wir, die Deutschen, hätten hervorragende Spieler, hervorragende Trainer, nur hätten wir zu viele Experten. Ein Klugscheißer? Besserwisser? Darauf können Sie wetten. Aber Recht hat er halt.