Erdogans Wutanfall

Beim Weltwirtschaftsforum in Davos greift der türkische Ministerpräsident den Staatspräsidenten Israels scharf an

Am 29. März 2009 werden in den 81 Provinzen der Türkei Kommunalwahlen durchgeführt. Der regierenden AKP scheint der Sieg auch diesmal sicher. Wichtig ist, ob Erdogan auch in den kurdischen Provinzen den Bürgermeister stellen wird. Nach der Einrichtung eines 24-stündigen Fernsehkanals auf Kurdisch und der Aufstellung kurdischer Kandidaten hat es die authentische Kurdenpartei DTP schwerer. Die zweitwichtigste Region ist die Ägäisküste, wo Sozialdemokraten regieren: Ein Augenmerk gilt der Großstadt Izmir, die Erdogan erobern will. Im Vorfeld sorgt ein Chaos um Wählerlisten für Unmut. Tausende Wähler finden sich nicht in den Listen wieder und beschuldigen die AKP, Nichtwähler gezielt zu streichen. Erste Umfragen deuten dennoch auf einen klaren Sieg Erdogans hin. DZ

AUS ISTANBUL DILEK ZAPTCIOGLU

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat am Donnerstagabend auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos für einen Eklat gesorgt. Auf einer Podiumsdiskussion griff er den israelischen Präsidenten Schimon Peres wegen der Angriffe auf den Gazastreifen verbal scharf an und verließ dann Davos in Richtung Türkei.

George Mitchell, der Nahostbeauftragte des US-Präsidenten Barack Obama, sagte seinen Besuch in Ankara kurzfristig „aus technischen Gründen“ ab.

Die Szenen von dem Eklat in Davos flimmerten kurz nach 20 Uhr Ortszeit über die türkischen Bildschirme. Alle Nachrichtenkanäle hatten live zu der Podiumsdiskussion geschaltet, auf der Erdogan mit wichtigen Gesprächspartnern wie etwa dem israelischen Präsidenten Peres, dem UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und Amr Musa, dem Präsidenten der Arabischen Liga, über den Palästinakonflikt diskutieren sollte. Nachdem Moon, Musa und Erdogan in ihren Reden die israelische Politik kritisiert hatten, verteidigte Peres das israelische Vorgehen in Gaza in einer längeren Rede. Dabei wandte er sich auch gezielt an Erdogan und fragte: „Was hätten Sie denn gemacht, wenn Raketen auf Istanbul abgeschossen worden wären?“ Erdogan bat daraufhin den Moderator, den Washington-Post-Redakteur David Ignatius, ihm Zeit für eine kurze Antwort zu gewähren, und sagte zu Peres: „Du bist älter als ich und erhebst die Stimme. Das liegt an deinem schlechten Gewissen.“ Israel töte kleine Kinder, die am Strand spielten, sagte Erdogan und fügte hinzu: „Ihr wisst sehr gut, wie man Menschen tötet.“ Auf die Versuche des Moderators, ihn zu stoppen, rief Erdogan wütend: „Davos ist für mich gestorben! Ich komme nie wieder hierher“, stand auf und verließ den Saal.

Bald darauf kam die Nachricht, dass das Flugzeug des Premiers gegen zwei Uhr morgens in Istanbul landen würde. Die U-Bahnen zum Flughafen würden bis morgens in Betrieb bleiben, die Fahrt würde gratis sein. Die Regierungspartei AKP (Partei für Gerechtigkeit und Fortschritt) mobilisierte offenbar tausende von Anhängern als Empfangskomitee für Erdogan. Die Massen skandierten, mit türkischen und palästinensischen Fahnen winkend: „Nieder mit Israel!“

Noch am Flughafen hielt der Premier eine Rede, in der er erklärte: „Peres hat unakzeptable Dinge von sich gegeben. Ich bin kein Stammesoberhaupt, sondern der Regierungschef der Republik Türkei. Ich konnte das nicht hinnehmen.“ Am Freitagnachmittag erklärte Erdogan auf einer Wahlveranstaltung: „Wir kritisieren nicht Israel an sich, sondern die Phosphorbomben und die konkrete Politik seiner Regierung, die hunderte Menschenleben gekostet hat.“

Die Mehrheit der türkischen Bevölkerung steht hinter Erdogans israelkritischer Politik. Es gibt eine große Allianz aus links und rechts, islamisch und säkular, was das israelische Vorgehen gegen die Palästinenser angeht. Die Kritik an Tel Aviv schießt dabei oft über das Ziel hinaus. Die Existenz Israels wird immer offener infrage gestellt. Die Stadtverwaltung ließ zu, dass eine islamische Hilfsorganisation die Istanbuler Plakatwände mit Großplakaten ausstattete, auf denen Sprüche wie „Du bist nicht Mose Kind“ zu lesen waren. Grundschüler wurden per Dekret des Bildungsministers zu einer Schweigeminute für Gaza angehalten und Eltern per Ministerialschreiben um Spenden gebeten. Gaza mobilisiert die türkische Gesellschaft wie kein anderes Thema der Weltpolitik.

Obwohl Erdogan unermüdlich betont, dass „der Antisemitismus genauso unakzeptabel ist wie die Islamfeindlichkeit“, fühlen sich die Juden in der Türkei bedroht. Der Verband türkischer Juden veröffentlichte jüngst eine Erklärung, in der er die israelische Gazapolitik, aber auch den zunehmenden Antisemitismus im Lande kritisiert.

Vor den Kommunalwahlen am 29. März kommt Erdogan das Thema Israel sehr gelegen. Nach Meinung mancher Kommentatoren wie Kerem Caliskan von der Tageszeitung Hürriyet sichert sich Erdogan mit seinen Verbalattacken gegen Israel Wählerstimmen.

Der israelische Präsident Peres, der Erdogan noch in derselben Nacht angerufen hatte, sagte gestern in Davos, er habe sich nicht bei Erdogan entschuldigt, aber den Zwischenfall bedauert: „Erdogan schaut offenbar zu viel arabisches Fernsehen. Wir werden ihn aufklären.“

Israel und die Türkei arbeiten militärisch eng zusammen. Panzer und Kampfflugzeuge werden in Israel aufgerüstet, die türkische Regierung kauft dort unbemannte Drohnen für den Einsatz gegen die kurdische PKK. Vor dem Beginn der Angriffe auf den Gazastreifen hatte Erdogan zwischen Syrien und Israel zu vermitteln versucht und sich dann enttäuscht darüber gezeigt, dass Tel Aviv ihn nicht vorab über seine geplante Offensive informiert habe.