Die Vorbilder
„Die deutsche Sprache auch mit dem Herzen lernen“

In Berlin leben besonders viele erfolgreiche MigrantInnen mit hohem Einkommen und guten Schulabschlüssen – das zeigen die Ergebnisse einer neuen Studie. Die taz hat mit sechs von ihnen gesprochen: Was sind ihre Erfolgsrezepte? Ähneln sich ihre Biografien? Und: Was raten sie anderen Einwandererkindern?
Svetlana Höschele ist gleich nach ihrer Ankunft aus Kirgisien in die Berliner Bezirkspolitik eingestiegen

Erstaunliches fördert die am Montag vorgestellte Integrationsstudie „Ungenutzte Potenziale“ des „Berlin Instituts“ zutage, der die Mikrozensusdaten von 2005 zugrunde liegen: Berlin ist sowohl bei Erfolgen wie auch bei Misslingen der Integration spitze. Nirgendwo ist die Arbeitslosigkeit unter MigrantInnen so hoch wie hier: 40 Prozent der Türkeistämmigen haben keinen Job. Unter SpätaussiedlerInnen sind es 27 Prozent. Bei den Einheimischen sind 16 Prozent ohne Arbeit. Nirgendwo gibt es aber auch so viele Einwanderer in Berufen, die besonderes Ansehen und Vertrauen voraussetzen: Lehrer- und ErzieherInnen, Ärzte, Sozialarbeiter etwa. Einwanderer aus der Türkei bilden in Berlin, anders als in anderen Bundesländern, die größte Migrantengruppe. Ihnen attestiert die Studie, sie seien „am schlechtesten in Deutschland integriert“. Indikatoren dafür sind vor allem ihre dauerhafte Unterrepräsentiertheit im oberen Bildungssystem, die relativ geringe Zahl von Mischehen, hohe Arbeitslosigkeit und die ebenfalls hohe Quote von Frauen, die Hausfrauen sind. Doch es gibt selbstverständlich längst auch unter türkeistämmigen EinwanderInnen Erfolgskarrieren, die zeigen, dass durch „Bildungsferne“ der Eltern keineswegs das Versagen der Kinder im Bildungssystem vorprogrammiert ist. Die Studie im Internet: www.berlin-institut.org/studien/ungenutzte-potenziale.html. AWI

„Ich kam 1996 als Spätaussiedlerin aus Kirgisien zusammen mit meiner Familie in unsere historische Heimat zurück. Unser großes Ziel war es damals, uns so schnell wie möglich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Zuerst habe ich mich in der CDU in Marzahn-Hellersdorf engagiert. Mehrere Jahre lang war ich dort außerdem Bezirksverordnete.

Mein Arbeitsfeld war die Migration. Ich habe mit Spätaussiedlern gearbeitet und bemerkt, dass es für Jugendliche besonderes schwer ist, sich in Deutschland zu integrieren. Als Mutter von zwei Kindern fühlte ich mich berufen, etwas für Jugendliche zu tun. Durch diese Arbeit erwarb ich das Vertrauen meiner Landsleute.

Später fand ich einen Arbeitsplatz an der Weiterbildungsakademie für Wirtschaft und Verwaltung Berlin. Meine ehrenamtliche Tätigkeit hat mich sicher dafür qualifiziert. Hier bin ich als Sozialarbeiterin tätig und arbeite mit jugendlichen Migranten, die bei uns eine Ausbildung oder einen Deutschkurs absolvieren. Derzeit absolviere ich nebenher noch ein Fernstudium in Sozialpädagogik.

Es ist mir sehr wichtig, dass ich mich als Seiteneinsteigerin beruflich qualifiziere, auch wenn ich schon 47 Jahre alt bin. Manche meiner Landsleute klagen darüber, dass ihre in Russland erworbenen Abschlüsse nicht anerkannt sind. Das ist sicherlich ein ernstes Problem, aber man kann sich qualifizieren.

Ich empfehle meinen Landsleuten, die sich noch nicht integriert fühlen, aktiver zu werden, auch mit dem Kopf in Deutschland anzukommen; statt russisches Fernsehen zu schauen, lieber zu versuchen, die deutsche Sprache auch mit dem Herzen zu lernen. Dann werden sie weniger Probleme haben, von den Deutschen als Deutsche anerkannt zu werden. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Integration möglich ist, aber man muss Deutsch lernen und soziale Kontakte zu Einheimischen aufnehmen.

Für meine Familie kann ich mit Stolz sagen, dass die Integration gelungen ist. Ehrenamtlich arbeite ich sehr aktiv im Migrantenbeirat. Mein Sohn Ernst hat das Gymnasium und ein Doppelstudium an der Universität als Mathematiker und Informatiker mit Auszeichnung absolviert. Er arbeitet derzeit an seiner Doktorarbeit. Mein Sohn Eduard studiert an der Technischen Universität. Er ist erfolgreicher Boxer, war Deutscher Meister und Berliner Meister. Er stand schon oft in der Zeitung, aber nie wurde erwähnt, dass er Spätaussiedler ist. Hier in Deutschland kommt gerade mein zweites Enkelkind zur Welt.“ PROTOKOLL: MARINA MAI
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Svetlana Höschele (47) ist Geologin und Sozialarbeiterin

„Mehr als eine Kultur“
Hakan Aslan machte nicht immer, was sein Vater wollte

„Wie ich der geworden bin, der ich bin – wer kann das sagen? Jetzt jedenfalls bin ich Leiter des Wasserturms, einem Jugendzentrum in Kreuzberg. Obwohl ich ursprünglich Anglistik studiert habe. Ich wollte Professor werden. Später habe ich Erziehungswissenschaften studiert.

Mein Vater war nicht so bildungsbewusst. Er hat ewig nicht gemerkt, dass ich länger als normal auf der Schule war. Nach dem Abitur sollte ich aber Geld verdienen. Ich habe mich stattdessen an der Technischen Uni eingeschrieben. Es gab damals noch keine so ausgeprägte Parallelgesellschaft, der mein Ausscheren aus gewohnten Mustern aufgefallen wäre. Glattgelaufen ist es trotzdem nicht. Ich habe ausländerfeindliches Zeug auf dem Gymnasium erlebt. Es ist nicht schön, ‚Türken raus‘ auf der Tafel zu lesen.

1989 studierten nicht so viele, die wie ich im Moabiter Gastarbeitermilieu groß geworden sind. Anglistik schon gar nicht. Während des Studiums fragten mich Kommilitonen immer wieder, was ich nun sei. Ein Türke? Ein Deutscher?

In meiner Magisterarbeit habe ich über das Orientbild der viktorianischen Reiseliteratur geschrieben. Damit habe ich auch versucht, meine Erfahrungen als Mensch, der mehr als eine Kultur kennt, zu bearbeiten. Die großen Fragen: Lebt man dabei zwischen den Kulturen? Oder in mehreren Kulturen parallel? Oder entwickelt man eine neue Kultur aus den Kulturen, die man kennt? Ich denke, Letzteres. In der Wissenschaft heißt das Hybridkultur.

Dass ich am Ende in der Jugendarbeit gelandet bin, ist folgerichtig. Wegen meiner beruflichen Qualifikation. Aber auch wegen meiner Pauschalqualifikation: Migrant und Mann. Gesellschaftlich werden männliche Jugendliche aus Migrantenfamilien ja als Problemgruppe wahrgenommen. Mit dem Hybridkulturansatz versuchen wir, die festgefahrenen Wahrnehmungen aufzuweichen. Wir arbeiten hier etwa das Männlichkeitsbild durch, aber auch das Verständnis von Kultur. Damit sind Themen verbunden wie Gewalt, Nation, Frauenbild, Religion. Der Hybridkulturansatz ist jedoch nicht einseitig zu denken. Im Grunde funktioniert das nur, wenn sich die Mehrheitsgesellschaft öffnet. Sie profitiert von dem, was wir hier im Idealfall entwickeln.“

PROTOKOLL: WALTRAUD SCHWAB

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Hakan Aslan (42) ist Leiter des Jugendzentrums „Wasserturm“

„Bildung für alle“
Raed Saleh erinnert seine Partei an alte, unerreichte Ziele

„Ich bin 1977 in Sebastia geboren, in der palästinensischen Westbank. Eigentlich ist das dort eine schöne, ruhige Gegend. Mein Vater war aber schon 1962 als Gastarbeiter nach Stuttgart gegangen. Geld anzusparen für die Familie, die Heimat – so hat er sich das vorgestellt. Er erkannte allerdings schon früh, dass er nicht mehr zurückgehen wird. 1978 holte er meine Mutter und seine damals sieben Kinder nach.

Ich bin in Spandau aufgewachsen. Mein Vater hat bei Schlüter-Brot gearbeitet. Reich waren wir nicht. Aber es wurde immer darauf geachtet, dass wir genug Stifte und Papier hatten und dass wir gut Deutsch lernen.

Als ich nach der Grundschule aufs Gymnasium wollte, bekam ich trotz guter Noten eine Hauptschulempfehlung. Das war so ein Reflex: Migrant ist Hauptschüler. Meine Eltern sind zur Rektorin und haben protestiert. So was haben nur wenige Migranten gemacht. Für sie waren Lehrer Respektspersonen. Wäre ich nicht aufs Gymnasium, wäre mein Leben heute anders. Ich hätte andere Freunde, andere Interessen, einen anderen Beruf. Politisch engagiert hätte ich mich vielleicht auch nicht. Heute bin ich für die SPD im Abgeordnetenhaus. Zudem habe ich eine Medienfirma mit zwölf Angestellten.

Der Stand der Integration ist viel besser als sein Ruf. Für mich ist Integration, wenn die Menschen im Alltag bestehen. Überall in der Stadt arbeiten Migranten – an Fließbändern, in Bibliotheken, sie erziehen Kinder oder sind in Nachbarschaftsheimen aktiv. Migration mit Problem gleichzustellen ist Quatsch.

Mein Geheimrezept hier in Spandau: Ich bringe Menschen zusammen. Ich bringe junge Migranten mit der Polizei zusammen, Moslems mit Juden, junge Aussiedler mit jungen Türkischstämmigen. Innerhalb kürzester Zeit finden sie mehr Verbindendes als Trennendes. Sie gehen auf die gleichen Schulen, holen sich die Döner beim gleichen Imbiss, hören die gleiche Musik.

Der alte Slogan ‚Bildung für alle‘ muss auch heute wieder gelten. Die SPD muss sich daran erinnern. Damals waren die Arbeiter gemeint, heute müssen mit ‚Bildung für alle‘ auch wirklich alle gemeint sein. Die SPD soll wieder auf die Schwachen in der Gesellschaft hören. In Großstadtkiezen sind die Schwachen eben oft die Migranten.“

PROTOKOLL: WALTRAUD SCHWAB
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Raed Saleh (31) ist unter anderem Kreisvorsitzender der Spandauer SPD

„Mir war schnelles Geld nicht wichtig“
Hung Manh Le hat sich mit Journalismus und Musik eine eigene Existenz aufgebaut

„Ich habe in Vietnam Journalismus studiert und als Hörfunkjournalist gearbeitet. 1988 kam ich in die vietnamesische Redaktion bei Radio Moskau. Als ich 1991 nach Deutschland kam – in ein kleines Dorf bei Bonn – war das ein Bruch in meiner Biografie. Ich war ‚ganz unten‘, lebte von Sozialhilfe und gelegentlichen Jobs.

Zwei Faktoren haben es mir ermöglicht, mich aus der sozialen Randständigkeit heraus hochzuarbeiten. Das war erstens, dass ich schnell und gut Deutsch lernte. Wir waren die einzige vietnamesische Familie im Dorf – uns blieb nichts anderes übrig. Mir fiel es aber auch leichter als anderen, weil ich schon Russisch und Englisch sprach. Zweiter Faktor war die Musik. Meine Frau ist Musikerin. Ich selbst spiele seit meiner Kindheit mehrere Instrumente. Wir haben gemeinsame Konzerte gegeben und sind dadurch weit rumgekommen.

1995 zog unsere Familie nach Berlin. Ich konnte hier als Sprecher bei Radio Multikulti arbeiten. Außerdem berichte ich für den vietnamesischen Dienst der BBC aus Deutschland. Leben konnte ich davon nicht, sodass ich meinen Reis lange in den Magazinen der Staatsbibliothek verdiente.

Im Jahre 2000 gründete ich mit meiner Frau und anderen musizierenden Landsleuten das Lotus-Ensemble. Wir spielen traditionelle fernöstliche Musik auf Feiern unserer Landsleute in ganz Deutschland und in den Nachbarstaaten. Wir haben auch schon in der Volksbühne und anderen Theatern gespielt.

Bei Radio Multikulti habe ich jede Möglichkeit genutzt, mich weiterzubilden, besonders auf rundfunktechnischem Gebiet. Hier gibt es ja ständig Neuentwicklungen. Heute habe ich mein eigenes Tonstudio, von dem aus ich die vietnamesische Sendung von Multicult2.0 produziere. Leider noch ehrenamtlich. Ich bin nicht mehr nur Sprecher, sondern Redakteur.

Viele meiner Landsleute haben aus Vietnam auch Qualifikationen mitgebracht. Doch hier haben sie einen Imbiss aufgemacht oder ein Nagelstudio. Sie müssen Familien ernähren und wollten das schnelle Geld. Das war für mich nicht wichtig. Ich habe mich auf meine Stärken besonnen – den Journalismus. Dieser Beruf hat mich immer gereizt und nie losgelassen. Auch nicht in schwierigen Zeiten.

Ich glaube, viele meiner Landsleute müssen Deutsch lernen, um ihren Platz in der deutschen Gesellschaft zu finden. Selbst ehemalige Vertragsarbeiter, die seit mehr als 20 Jahren hier leben, können sich oft nur schwer verständigen.“

PROTOKOLL: MARINA MAI
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Hung Manh Le (50) ist Journalist beim Webradio Multicult2.0 und bei der BBC

„Keine Zeit für Selbstmitleid“
Elena Marburg ist als erfolgreiche Seiteneinsteigerin gezwungen, sich weiterzubilden

„Ich kam 1974 als Austauschstudentin nach Ostberlin und traf hier meine große Liebe. Inzwischen sind wir 34 Jahren lang miteinander verheiratet, haben zwei Söhne und zwei Enkelkinder. In Bulgarien hatte ich vorher ein Studium als Chemie-Ingenieurin für Textilverarbeitung absolviert. Dafür gab es aber in Berlin keinen Arbeitsmarkt. Ich habe gut zwei Jahre in der Berliner Großwäscherei Rewatex gearbeitet und dabei Deutsch gelernt. Dann wechselte ich in ein Büro für Schutzrechte. Unter großen Anstrengungen hatte ich 1986 als Mutter zweier kleiner Kinder und bei voller Erwerbstätigkeit ein postgraduales Fernstudium im wissenschaftlich-technischen Rechtsschutz erfolgreich abgeschlossen.

Sofort nach der Wende 1990 musste ich Kurzarbeit arbeiten. Da habe ich mich auf die ausgeschriebene Stelle als Ausländerbeauftragte im damaligen Bezirksamt Marzahn beworben. Ich bekam die Stelle. Das verdanke ich zu einem Teil dem berühmten Zufall. Aber auch meine Sprachkenntnisse in Russisch, Englisch, Bulgarisch und in südslawischen Sprachen und meine Migrationsgeschichte haben mir geholfen.

Auf sozialarbeiterischem Gebiet bin ich Seiteneinsteigerin. Deshalb war und bin ich gezwungen, mich stets weiterzubilden. Ich verfolge ständig den aktuellen wissenschaftlichen Stand und setze mich mit den Gesetzen für mein Fachgebiet, aber auch mit guten Erfahrungen von Praktikern woanders auseinander.

Bei uns DDR-Migranten sind Zickzackbiografien sicher nicht selten. Der erste Bruch kam bei der Einwanderung in die DDR. Der zweite Bruch kam mit der Wende 1989/90. Man muss immer wieder aufs Neue seinen Platz finden, selbst wenn Gegenwind weht. Mut, etwas völlig Neues zu wagen und keine Zeit mit Klagen und Selbstmitleid zu verlieren, gehören dazu. Wichtig ist, zu begreifen, dass man bei diesen Brüchen nicht beim Punkt null beginnt, sondern erworbene Kenntnisse und Fertigkeiten mit nutzen kann. In meiner naturwissenschaftlichen Ausbildung habe ich strukturelles Denken erlernt. Und das Patentrechtstudium ermöglicht es mir vielleicht leichter als anderen, mich in das Ausländer- und Verwaltungsrecht einarbeiten.“

PROTOKOLL: MARINA MAI

FOTO: BEZIRK

Elena Marburg (58) ist gebürtige Bulgarin und seit 1990 Migrationsbeauftragte von Marzahn bzw. Marzahn-Hellersdorf

„Ich schätze die deutsche Wertarbeit“
Cemal Ateș wollte Fußballer werden, lernte dann doch Maler – und machte den Meister

„Ich war sechs Jahre alt, als meine Mutter mich und meine vier Geschwister 1969 aus der Türkei nach Berlin holte. Auf der Fahrt mit dem Zug haben mir die Mohnfelder gefallen. Mit Mohnfeldern verbinde ich seither die Türkei mit Berlin.

Ich dachte, die Reise wäre nur ein Abenteuer. Eine Reise zu den Ungläubigen. Schwarzköpfe haben wir sie genannt. Aber als wir hier ankamen, fand ich es doch schön. Endlich konnte ich Fußball spielen. So viel ich wollte. Denn eigentlich wollte ich Fußballspieler werden. Meine Schwester hatte es schwerer. Sie stand für das, was man so ‚Ehre‘ nennt. Meine Schwester ist Seyran Ateș, sie ist bekannt wegen ihres Engagements für Frauen.

Für mich war die Schule ein Schock, wegen der Sprache und so. Ich war immer froh, wenn es Rechnen gab. Die Zahlen konnte ich. Einen Beruf wollte ich unbedingt lernen – vor allem nachdem ich kapiert habe, dass es Fußballer nicht sein wird. Meine Eltern waren auch sehr dafür, dass ich eine Ausbildung mache. Die haben für mich bei Osram, wo sie gearbeitet haben, gefragt. Maler bin ich am Ende geworden, weil mir das Arbeitsamt dazu geraten hat. Als ich den Ausbildungsvertrag unterschrieb, bin ich vor Freude in die Luft gesprungen. Für mich war schnell klar, dass ich den Meister machen will.

Malermeister ist ein Vertrauensberuf. Wir müssen in die Wohnungen der Leute, manchmal geben die uns auch die Schlüssel. Es kommt sogar vor, dass wir an Wochenenden allein in Arztpraxen arbeiten. Man kommt da schon in Bereiche, die ein anderer nicht sieht.

Ich habe später eine deutsche Frau geheiratet. Vor 25 Jahre war das doch eine Pionierleistung. Auch, dass ich damals schon den deutschen Pass beantragte. Ich schätze die deutsche Wertarbeit sehr. Und die Handwerksethik mit der Bereitschaft auszubilden, Steuern zahlen, ehrlichem Auftreten dazu. Innungsmitglied bin ich auch. Meine Kunden sind zu 99 Prozent Deutsche.

Ich habe zwei Mitarbeiter und einen Auszubildenden. Außerdem arbeite ich mit einem Integrationsbetrieb zusammen und ermögliche vielen jungen Leuten, bei mir Praktika zu machen. Darunter sind Gehörlose und Lernbehinderte – Herkunft egal. Derzeit sind gerade zwei deutsche Mädchen im Praktikum. Das ist ja auch Integration.

Trotzdem werden einem ständig Steine zwischen die Beine geworfen. ‚Haben wir jetzt schon Türken, die für uns arbeiten‘, solche Sprüche muss man sich gefallen lassen. Kumpel von mir sagen: Schreib deinen Namen anders. Aus Ateș mach Atesch. So spricht man Ateș ja aus. Dann wirst du nicht sofort in die Ausländerschublade gesteckt. Meinen Vornamen hab ich immerhin schon abgekürzt deshalb.

Zu allem Übel hat mich mein deutscher Kompagnon vor Kurzem übers Ohr gehauen. Ich dachte, er wäre ein Freund. Für mich gelten auch mündliche Abmachungen. Unter Freunden sowieso. Er denkt anders. Da ist sie, die deutsche Ehrlichkeit. Dass in dem Wort Ehre drinsteckt, kann ich nicht mehr akzeptieren. Als Migrant der zweiten Generation muss man das Wort wohl neu denken. Für mich hat Ehre was mit Solidarität zu tun. Mit Vertrauen. Und mit Toleranz.“

PROTOKOLL: WALTRAUD SCHWAB
FOTO: PRIVAT

Cemal Ateș (46) ist Malermeister. Seine Werkstatt ist im Wedding