„Sexobjekt oder nicht existent“

Ulaș und Koray Günay-Yilmaz

„Die Homophobie in islamischen Ländern ist keine größere Bedrohung als in christlichen. Ich erinnere daran, was in den USA als erzprotestantischem Land wegen der Schwulenehe gerade abgeht“ „Schwule sind weder sensibler noch unsensibler als andere, wenn es um Rassismus geht. Es gibt Lesben und Schwule unter den Rassisten. Das ist okay, weil es bedeutet, dass die Leute in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind“

Im Februar, als Angela Merkel die Türkei bereiste, verdrängte die Schlagzeile von einem Paar die CDU-Chefin. In der internationalen Ausgabe der Hürriyet erfuhr die türkische Welt von der Hochzeit von Koray und Ulaș Günay-Yilmaz. Koray, 29 und in Berlin geboren, studierte Politik am Otto-Suhr-Institut der FU und arbeitet als Anleiter für ABM-Kräfte. Ulaș wurde 1977 in Ankara geboren. Er promoviert an der TU in Informatik. Sie sind das bekannteste schwule türkische Ehepaar – aber bei weitem nicht das einzige. Den Berliner Christopher Street Day am Samstag wollen beide als homosexuelle Migranten mitgestalten.

INTERVIEW CEM SEY
und ADRIENNE WOLTERSDORF

taz: Wie haben Sie sich kennen gelernt?

Ulaș Günay-Yilmaz: Es gab einen Kongress in der Türkei von einer türkischen schwul-lesbischen Organisation. Ich war unter den Organisatoren. Dort habe ich Koray kennen gelernt.

Viele in Deutschland lebende Türken heiraten jemand aus der Heimat.

Koray Günay-Yilmaz: Das ist meine zweite Beziehung mit einem Türken. Davor hatte ich nur Beziehungen mit Nicht-Türken. Mit Ulaș war es ein schöner Zufall. Natürlich ist es eine ganz andere Form von Beziehung als mit Nicht-Türken. Die gemeinsame Sprache und Musik sind sehr wichtig.

Warum wollten Sie heiraten?

Koray: Das war eher eine spontane Entscheidung, damit Ulaș die Möglichkeit erhält, hier bei mir zu leben. Da er seine Doktorarbeit sowieso im Ausland schreiben wollte, war es okay für ihn. Prinzipiell bin ich gegen diese eingetragene Lebenspartnerschaft. Nur ist es eben mit Schein aufgrund des Ausländerrechts einfacher eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen.

Ihre Hochzeit hat in der Türkei Schlagzeilen gemacht. Wie waren die Reaktionen?

Ulaș: Ich war überrascht, dass die Reaktionen relativ positiv waren. Ich hätte eher erwartet, dass es zu heftigen Debatten kommen würde. Viele türkische Homosexuelle, die durch die Medien von uns und der Möglichkeit des Heiratens erfahren haben, gingen erst mal auf Partnersuche.

Sind Sie wirklich das erste schwule türkische Ehepaar?

Koray: Nein, in Berlin gibt es viele schwule türkische Ehepaare. Viele fürchten allerdings den Schritt, das öffentlich zu machen – selbst vor den Eltern oder den Freunden. Sie heiraten im Stillen, entweder damit die Partner hier bleiben können, manche natürlich auch einfach aus Liebe.

Wollten Sie den großen Auftritt?

Koray: Wir fanden, dass das ein Thema ist, mit dem sich die türkischstämmige Gesellschaft in Deutschland auseinander setzen muss.

Wie haben Ihre Familien reagiert?

Ulaș: Mein Vater wünschte es sich zwar nicht, aber verhindern kann er es ja auch nicht. Viele Homosexuelle reden sich raus mit dem Satz: Meine Mutter stirbt, wenn sie erfährt, dass ich schwul bin! In Wahrheit ist es die Angst vor der eigenen Homosexualität, die damit kaschiert wird.

Koray: Meine Familie ist keine klassische türkische Familie, die können damit ganz gut umgehen.

Wo war das Befremden größer?

Koray: Ich glaube, in der Türkei ist die Gesellschaft viel weiter. Dort hat es fundamentale Veränderungen gegeben, und die Gesellschaft dort ist längst nicht so homogen wie die der Migrantinnen und Migranten hier. Die kamen vor 40 Jahren aus ländlichen Gebieten hierher und haben ihre starren Vorstellungen konserviert. Ulaș kommt aus einer viel progressiveren Gesellschaft als ich, der ich in Berlin geboren und aufgewachsen bin. Ich bin hier ständig mit der Mentalität der 60er-Jahre konfrontiert.

Hat Ihre „öffentliche Hochzeit“ anderen Migranten Mut gemacht?

Koray: Ich bin im Vorstand des Migrationsrates in Berlin-Brandenburg und aktiv im Verein GLADT, wo wir beide Mitglied sind. Es ist übrigens der einzige Verein, der vom Namen her lesbisch-schwul, bisexuell und transsexuell ist. Viele Migranten, vor allem aus afrikanischen oder arabischen Ländern, fanden das prima. Auch von türkischen und kurdischen Organisationen kamen durchweg positive Reaktionen.

Sollen wir glauben, dass zwei Türken heiraten und alle sich freuen?

Koray: Komische Blicke auf der Straße gibt es natürlich, aber die erntet jeder, ob traditionell gekleidete Frauen, ob Menschen mit roten oder gar keinen Haaren. Ich kann nicht sagen, dass ich Probleme habe, weil ich schwul bin.

Würden Sie Hand in Hand zum Beispiel durch das türkische Neukölln oder den Wedding gehen?

Ulaș: Das tun wir sogar.

Und Sie werden nicht angepöbelt?

Ulaș: Natürlich gibt es in dieser Stadt Grenzen für Schwule, Orte und Gegenden, wo man sich nicht mehr frei fühlt, das zu tun, was man machen möchte. Hier werden aber immer die Migranten dafür verantwortlich gemacht – obwohl es nicht die Migranten sind, die diese Grenzen definieren. Die Grenzen setzen Homosexuelle, die mit sich selbst keinen Frieden geschlossen haben, oder Faschisten und sogar die Kirche.

Heißt das, manche bilden sich Intoleranz gegenüber Homosexuellen ein?

Ulaș: Ich akzeptiere keine Grenzen …

Koray: Klar, es gibt diese Grenzen. Zum Beispiel da, wo sich Skinheads in Ostberlin in S- und U-Bahnhöfen treffen. Da überlegst du dir dann, ob du Händchen hältst. Obwohl ich in der Motzstraße wohne, überlege ich mir manchmal auch, das gibt es. Jede Gesellschaft birgt Homophobie. Ich hatte aber nie Angst und bin auf der Oranienstraße mit meinem Partner Hand in Hand gelaufen, auch im Wedding, als ich da wohnte. Ich hatte immer das Selbstvertrauen und die Überzeugung, dass es in Ordnung ist, wie ich bin.

Heißt das, dass anderen Homosexuellen nur das Selbstbewusstsein fehlt?

Koray: Letztes Jahr gab es diese Debatte um das Café Positiv. Die Leute, die da saßen, beklagten sich, es würden 12-Jährige kommen, sie belästigen und die Scheiben einwerfen. Ich musste einfach lachen: Da sitzen 35 erwachsene Männer, es kommen zwei kleine Jungs und sagen: Du bist Scheiße. Und die Männer denken: stimmt, wir sind Scheiße, das hatten wir vergessen. Sie lassen sich einschüchtern, anstatt rauszugehen und den Jungs eine zu knallen. Ich glaube, viele schwule Männer, vor allem die, die aus der Provinz nach Berlin gekommen sind, haben mit ihrer Homosexualität Probleme. Sie glauben, sie benötigen geschützte Räume und seien eine besonders gefährdete Spezies. Wenn ich Komplexe habe und mit mir selbst nicht zufrieden bin, kann ich aber nicht in Frieden mit den anderen leben.

Es gibt aber doch Übergriffe auf homosexuelle Männer und Frauen.

Koray: Wir von GLADT haben den Leuten vom Café Positiv angeboten, uns mit ihnen zu treffen, weil es im Kiez drum herum natürlich viele Migranten und natürlich Probleme gibt. Drei Monate lang haben sie nicht reagiert. Dann kam es zu einer Diskussionsrunde. Es ging dann nur um das Ihr und Wir, dazu Argumente wie: Ihr seid alle gegen uns. Eure Religion verbietet Homosexualität und Aids. Ernsthaft, mit diesen Worten. Da fasst du dir an den Kopf.

Die Diskussion wird also ganz schnell grundsätzlich: der Islam und die Homophobie?

Ulaș: Natürlich gibt es eine Homophobie in islamischen Gesellschaften, so wie auch in christlichen und jüdischen. Das als Homosexueller zu leugnen wäre Idiotie. Die Frage ist, ob das ein ethnisches oder ein religiöses Problem ist.

Hier herrscht die Auffassung, der Islam ist homophober als das Christentum mit seiner Aufklärung.

Koray: Ich erinnere daran, was in den USA als erzprotestantischem Land wegen der Schwulenehe gerade abgeht. Dass die Leute mit Leib und Leben in Gefahr sind, so was gibt es in der Türkei jedenfalls nicht. Die Homophobie in islamischen Ländern ist keine größere Bedrohung als in christlichen. Ich denke, Homophobie ist in erster Linie ein Problem sozialer Schichten und des Patriarchats. Männer dürfen ihre traditionelle Rolle nicht verlassen, das ist das Hauptproblem in den Migrantengesellschaften – und nicht so sehr die Tatsache des Schwulseins.

Die Szene debattiert heftig über Homosexualität und Islam. Verstehen die Deutschen da einiges falsch?

Koray: Meiner Meinung nach sind die Migrantenorganisationen offener geworden, was das Thema Homosexualität angeht, als umgekehrt die Szeneorganisationen wie der Lesbisch-Schwule Verband hinsichtlich des Themas Rassismus. Ich glaube, dass es in der westlichen Welt ein Interesse an einem neuen Feindbild gibt. Ich und meine türkischen Freunde werden ständig gefragt, was sagt eigentlich der Islam zur Homosexualität. Nicht: Was sagen deine Eltern? Was sagt deine Kultur?

Ist das denn so falsch, wenn man sich die kulturelle und gesellschaftliche Kluft anguckt?

Koray: Wenn ich hier jemanden frage, was sagt der Protestantismus zu deiner Homosexualität, guckt der mich an wie ein Auto. Hier ist man doch ein aufgeklärtes Individuum mit einer ganz eigenen Sozialisation. Aber ich, Türke, bin kein Individuum. Da muss der Islam befragt werden. Das ist Schwachsinn.

Ist denn eine öffentliche Debatte über Homosexualität und Islam kein Schritt in die richtige Richtung?

Koray: Unter dem Deckmantel der Aufklärung wird hier Segregation betrieben. Dadurch, dass man aufklären will, entsteht doch erst recht der Eindruck, dass die hier lebenden Migranten aus islamischen Ländern die falsche Einstellung haben …

und die deutschen Homosexuellen offenbar auch?

Koray: Schwule sind weder sensibler noch unsensibler als andere, wenn es um Rassismus geht. Es gibt Lesben und Schwule unter den Rassisten und Rassisten unter Lesben und Schwulen. Das ist okay, weil es bedeutet, dass sie in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind.

Ist das nicht enttäuschend, wenn „in der Mitte ankommen“ so aussieht?

Koray: Viel enttäuschender finde ich, dass noch vor den migrantischen Homosexuellen schon längst die Frauen auf der Strecke geblieben sind. Mit homosexuell meint die Gesellschaft in der Regel weiße, protestantische Männer. Anders als die Lesben dominieren sie die Bewegung.

Es könnte in Berlin bis zu 45.000 lesbisch-schwule MigrantInnen geben. Die Integration ist in der Szene aber wohl nicht weiter als anderswo?

Koray: Als homosexueller Migrant bist du entweder Sexobjekt oder nicht existent. Ein Beispiel: Obwohl die Migranten die zweitgrößte Gruppe von HIV-Positiven sind und die Gruppe mit der höchsten Rate an Neuinfektionen, gibt es in Berlin kein einziges fremdsprachiges Projekt im Bereich Präventionsarbeit. Es gibt nur deutschsprachige Angebote. Sich dafür engagieren heißt automatisch ehrenamtlich arbeiten. Denn trotz zahlreicher Anträge haben wir es bisher nicht geschafft, öffentliche Unterstützung für unsere Arbeit zu bekommen.

Farce oder Chance? Was bedeutet eigentlich der CSD für euch?

Koray: Ich glaube, die homosexuelle Mehrheit wäre zufrieden, wenn sie jetzt noch ihre Steuervorteile kriegt und in zwei Jahren Kinder adoptieren darf. Von der Warte aus betrachtet, könnte man den CSD dann einstellen. Es ist ja schön, wenn man es sich leisten kann, öffentlich Spaß zu haben, das ist ein Erfolg.