wahlbeteiligung
: Unfassbar egal

Die Wahlbeteiligung sinkt und sinkt! Unfassbar? Ja. Unfassbar egal. Ob von 63 Millionen Wahlberechtigten in Deutschland nun 30 Millionen, 2 Millionen oder gar nur 200.000 ihre Stimme abgeben: Am Ende addieren sich die Einzelergebnisse für die verschiedenen Parteien immer auf insgesamt 100 Prozent. Wahlforscher, Journalisten und Politiker leiten das Klima im Land ausschließlich aus der Verteilung dieser Stimmen ab. Abstinenz ist ein vernachlässigbarer Faktor – da mögen noch so viele Fachleute ihre Stirn in Dackelfalten legen und fordern, der geringen Wahlbeteiligung müsse endlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Das glauben sie doch selber nicht.

KOMMENTAR VON BETTINA GAUS

Es gibt keine Möglichkeit, das Unbehagen am politischen Prozess zu artikulieren, indem man sich der Teilname entzieht. Das System sieht Protest durch Verweigerung nicht vor. Das ist bedauerlich. Was wären die Folgen, würden Wahlen mit einer Beteiligung von weniger als 50 Prozent für ungültig erklärt? Im zweiten Durchlauf könnte das Wahlrecht durch eine Wahlpflicht ersetzt werden – und alle Listenplätze würden in umgekehrter Reihenfolge vergeben. Also die ersten zuletzt und die letzten zuerst. Ein populistischer Vorschlag, schon klar, der vermutlich sowohl gegen EU-Recht wie gegen die deutsche Verfassung verstieße. Aber wäre es nicht dennoch eine begeisternde Möglichkeit, endlich mit dem Missbrauch des Europaparlaments als Versorgungseinrichtung aufzuräumen?

Das geringe Interesse der Bevölkerung an den EU-Wahlen lässt keinen Rückschluss darauf zu, dass die Bedeutung europäischer Institutionen unterschätzt wird. Es deutet lediglich darauf hin, dass eine steigende Zahl der Wahlberechtigten sich nicht mehr für eine – angesichts der fehlenden Gewaltenteilung in Europa weitgehend folgenlose – Meinungsumfrage instrumentalisieren lassen will. Im Hinblick auf das Binnenklima überrascht es nicht, dass der SPD ein Denkzettel verpasst wurde und dass die Opposition triumphiert. Mit Europa muss das nichts zu tun haben, wie der Wahlkampf zeigte. Die Grundfrage scheint zu lauten: Kann eine Volkspartei wie die SPD es sich leisten, nach einem derart verheerenden Ergebnis zur Tagesordnung überzugehen? Wenn sie wirklich meint, Lösungen für anstehende Probleme zu haben, dann muss sie es sich leisten. Sonst nicht. Als Rattenfänger sollten sich Sozialdemokraten jedenfalls nicht verdingen. Dieser Personalbedarf wird durch die FDP gedeckt.