Riem Spielhaus/Ägypten
: Die Waisen

Das zweistöckige Gebäude liegt unbeleuchtet hinter einer Mauer am Rand einer der neuen Kairoer Viertel, die derzeit in der Wüste um die Megacity entstehen. Fast wirkt es unbewohnt. Doch nachdem der Hausmeister des Mädchen-Waisenhauses uns in den Hof eingelassen hat, beginnt sich Leben in dem gepflegten Zweckbau zu regen: Die Leiterin des Hauses begrüßt uns überschwänglich. Gegründet wurde das Waisenhaus für Mädchen vor sechs Jahren von Fatima Shalaby, der Witwe eines Industriellen. Während Jungen in Ägypten weiterhin als Stammhalter erwünscht sind, werden neugeborene Mädchen armer Familien nicht selten vor Moscheen oder Polizeistationen ausgesetzt. Zwölf Mädchen leben derzeit im Heim. Sie erhalten hier eine Betreuung, die weit über die Möglichkeiten staatlicher Waisenhäuser hinausreichen: zwei Erzieherinnen für je sechs Mädchen, die sie durch ihre gesamte Kindheit begleiten und mit ihnen im Heim wohnen, der Besuch kostspieliger Privatschulen und ein persönliches Konto. Darauf werden Spenden gesammelt, die den Mädchen später den Besuch einer Universität ermöglichen sollen. Frau Shalaby und ihrer Unterstützer sind fromme Muslime. Nahezu drei Prozent ihres Jahreseinkommens geben sie für wohltätige Zwecke aus. Immer mehr Ägypter engagieren sich in Projekten für die Abgehängten der Gesellschaft: auch eine Form, sich angesichts von Arbeitslosigkeit, steigenden Brotpreisen und der Willkür bzw. dem Versagen staatlicher Einrichtungen zu wehren. Als wir wieder aus dem Tor auf die nächtliche Straße treten, hält ein Kleinwagen am Gehsteig, eine schwarz gekleidete Frau steigt aus und übergibt der Heimleiterin eine Plastiktüte mit einer Essensspende.