Einübung in Ekstase

Goethe, Nietzsche und all die anderen: Antje Majewski nutzt deren Zitate als Sparringspartner und misst historische Theorien in ihrer Malerei neu aus. Zurzeit stellt sie bei Neugerriemschneider aus

VON HENRIKE THOMSEN

Es war einer der größten Hits der 1980er-Jahre, aber dass sich „Welcome to the Pleasuredome“ auf Nietzsche beruft, dürfte den Discofans größtenteils entgangen sein. Für Frankie goes to Hollywood war es sicher auch nur ein Witz am Rande, dass sie der Maxi-Version einige Sätze aus der „Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik“ voranstellten, als eine Hommage an die Lust und die göttliche Verzückung des Tanzens. Doch für die Berliner Künstlerin Antje Majewski ist das Zitat Programm.

In ihren großformatigen Bildern verbindet sie eine Ekstase der Bewegung und das Geheimnis der Maskerade mit scheinbar oberflächlichen Szenen, wie man sie aus der Pop Art und dem Realismus kennt. „Gewöhnliche Szenen mit einer außerordentlichen Vergangenheit“: So nennt der Katalog zu Majewskis Einzelschau im Salzburger Kunstverein im Herbst 2008 treffend die höchst lebendig gemalten Menschen, die – oftmals in Kostüm und Theaterschminke – mit verhaltenem und doch äußerst intensivem Gestus und Gesichtsausdruck eingefangen sind. Ohne Inszenierung der Modelle funktioniert so was nicht.

Manche Berliner Tanztheaterfans kennen die 1969 in Marl geborene Autodidaktin ohnehin von einer anderen Seite: Als Bühnen- und Kostümbildnerin und Co-Regisseurin hat sie an der Produktion „Skarbek“ des Choreografen Ingo Niermann an der Volksbühne 2005 mitgewirkt.

Aber das heißt nicht, dass in ihrer aktuellen Ausstellung in der Galerie Neugerriemschneider „Pleasuredome“ in einer Endlosschleife läuft und man abtanzen kann. Im Gegenteil: In Majewskis neuer Schau gibt es eine kleine Theorie-Lektion. Denn die Malerin hat zwischen ihre energiegeladenen Darstellungen eines Tanzensembles abstrakte Arbeiten nach den Farbenlehren von Goethe, Philipp Otto Runge, Johannes Itten und Harald Küppers platziert. Diese wirken in sich geschlossen, wie selbstvergessene Studien zum Ursprung und den Harmonien der Palette.

Goethe fand für seine Ideen zu seinem großen Kummer nicht die gleiche Anerkennung wie für seinen „Faust“. Antje Majewski aber hat Sympathie für seine im Kern dramatische Vorstellung von der Geburt der Farben: Dass Buntes dort entstehen könnte, wo weißes Licht auf Dunkelheit trifft, wo aus dem Ringen göttlich-atavistischer Kräfte das Spiel des Lebendigen entsteht – nichts anders illustrieren die Tanzbilder. Das Ensemble in leuchtenden Kostümen in Gelb, Rot, Blau, Pink und Grün balgt sich lustvoll in der Mitte eines schwarzen Runds, weißes Scheinwerferlicht hebt sie aus der Schwärze hervor. Aber auch die späteren Theorien sind anzitiert, bis hin zu dem jüngsten System CMYK für den Vierfarbdruck. Bei genauem Hinsehen sind die Kostüme in Cyan (einem hellen, grünlichen Blau), Magenta, Yellow und Schwarz („Key“) gehalten. Wie in einem Probebogen für Druckerzeugnisse läuft eine dünne Leiste mit Farbstreifen durch den Hintergrund.

Nietzsche schwärmte in seinem Tragödien-Essay für das dionysische Prinzip des Tanzes und der Musik. Doch der griechische Gott mit der Panflöte und der weinseligen Gefolgschaft war nicht sein einziger Gewährsmann für gute Kunst: Es müsse, so Nietzsche, das apollinische Prinzip hinzukommen. Antje Majewskis Arbeiten inszenieren Farbe, Form und Raum, die Grundkonstanten der Bildenden Künste, auch im Sinne des wohl proportionierten Schutzgottes Apoll.

In ihren so beiläufig angelegten Motiven gibt es ein hohes kunsthistorisches Bewusstsein. Was aber Majewskis scheinbare Nähe zum Realismus à la Courbet und dem Fotorealismus des 20. Jahrhunderts betrifft, so handelt es sich eher um die Antwort einer Künstlerin auf dieses von Männern und männlichen Projektionen (nackte Frauen, Autos, schnelle Pferde) dominierten Genre. In den 1990er-Jahren veröffentlichte Antje Majewski eine Art Manifest, das ausschließlich aus Zitaten von Malerinnen wie Rosa Bonheur und Tamara de Lempicka bestand. Unterschwellig findet sich in ihren Arbeiten eine Kritik an den männlichen Setzungen in der Kunst- und Kulturgeschichte.

Die Entstehung und optische Wirkung von Farben deutet sie als eine doch höchst individuelle und anarchische Sache, abhängig vom Auge des einzelnen Betrachters. Vollendete Abstraktion führt sie in wenigen Schritten auf den lebendigen Körper zurück. Auch die Architektur wird hinterfragt: In dem Video „Ende Asphalt/Wedding“ (2007) rollen und robben sich Antje Majewski und Juliane Solmsdorf in gold-silbrigen Glitzerkostümen durch den Berliner Stadtteil, in dem sie ihre Ateliers haben: zwei Farbbündel in unwahrscheinlicher, unberechenbarer Bewegung in einer urbanen Kulisse, die dadurch noch starrer und einfallsloser wirkt als sonst.

Gelb, Rot, Blau, Pink, Grün und eine schwarze Maske: Das ist das traditionelle Kostüm von Harlekin. Der burleske Clown der Commedia dell’Arte, berühmt auch als wilder Tänzer, gehörte bis zum 18. Jahrhundert zu den Standardmotiven der europäischen Malerei. In Antje Majewskis Malerei betritt Harlekin stillschweigend wieder die Bühne. Seine Aura der Ungesetzmäßigkeit, seine handfeste körperliche Kraft und Abgründigkeit ist in ihren Bildern präsent. Wie sein buntes Flickenkostüm bekennt sie sich zur unbezähmbaren geheimnisvollen Vielfalt des Lebens. Sie selbst sagt es am liebsten mit einem Zitat von Kafka: „Die Mannigfaltigkeiten, die sich mannigfaltig drehen in den Mannigfaltigkeiten des einen Augenblicks, in dem wir leben. Und noch immer ist der Augenblick nicht zu Ende, sieh nur!“

Antje Majewski, bis 31. 1. in der Galerie Neugerriemschneider, Linienstr. 155