Der Resteverwerter

Die Talkshow-Kultur frisst ihre prominentesten Kinder: Benjamin von Stuckrad-Barre liefert mit seinem neuen Buch „Remix 2“ noch einmal Nachrichten aus einer längst vergangenen Epoche

Die medialen Begleitgeräusche sind zu schrill und die Texte selbst zu leise

VON CORNELIUS TITTEL

Das Timing war gespenstisch. Ein paar Stunden zuvor hatte Benjamin von Stuckrad-Barre noch auf den Knien um ein Helmut-Kohl-Autogramm gebettelt und damit vor der versammeltem Leipziger Buchmesse seinen deliranten Auftritt beim Grand-Prix-Vorentscheid getoppt, als das allnächtlich-stumpfe Zappen endlich wieder Sinn machte. Auf MTV oder Viva liefen alte Videos, und irgendwann stand sie dann im Raum, die Frage, die die Hamburger Band Die Sterne für ein paar Wochen berühmt gemacht hat: „Was ist bloß los, was ist passiert, was hat dich bloß so ruiniert?“

Ein paar Kanäle weiter saß Harald Schmidt an seinem Schreibtisch, und nicht nur das N 24-Logo am rechten Bildschirmrand kündete davon, dass tatsächlich einiges passiert sein musste. Auch Stuckrad-Barre, sein Gast, war noch ganz der alte. Die Füße lässig gegen Schmidts Tisch gestützt, hielt er sein Buch „Black Box“ hoch. Ein neuer Bestseller, eine neue Lesetour, einmal mehr bei Schmidt zu Gast – business as usual für den von Schmidt persönlich gekrönten „Superstar der jungen deutschen Literatur“.

Was genau es mit dem Kapitel „Danke Anke“ auf sich habe, wollte Schmidt noch vor dem Schlusstusch wissen, und Stuckrad-Barre erzählte in seinem gewohnt blasierten Fernseh-Tonfall vom Medienrummel, den es um seine Beziehung zu Anke Engelke gebe. „Danke Anke“ sei seine Sicht auf die Dinge, er habe über die ganze Chose eine, nun ja, Mediensatire geschrieben.

Kaum drei Jahre später ist Stuckrad-Barres neues Buch da und alles, wirklich alles, ist anders. Harald Schmidt macht Kabarett, Anke Engelke sitzt auf seinem Sendeplatz und Benjamin von Stuckrad-Barre, da hilft auch drüber schreiben nicht, ist vorerst selbst zur Mediensatire geworden. Pünktlich zum Erscheinen seines neuen Buches „Festwertspeicher der Kontrollgesellschaft Remix 2“ ist eine Promotion-Maschinerie angesprungen, die, vom Spiegel über Beckmann bis zum gestern ausgestrahlten Porträt der Filmemacherin Herlinde Koelbl im WDR, vor allem eines will: mit Hilfe von Stuckrad-Barres Sucht- und Krankheitsgeschichte ein paar Peinlichkeiten der letzten Jahre entschuldigen und gleichzeitig die Werbetrommel für ein Buch rühren, das weder die Sucht noch sein sozial auffälliges Verhalten reflektiert.

Die Enttäuschung ist vorprogrammiert: Selbst Menschen, die vorher nie von Stuckrad-Barre gehört haben, wissen inzwischen, dass ausgerechnet Udo Lindenbergs Panikdoktor den jungen Literaten nach zwei gescheiterten Klinikaufenthalten aus den Abgründen seiner Kokainsucht gerettet hat. Und doch wirkt die Welt in „Remix 2“, als hätte sie sich seit Jahren nicht gedreht. Auf 485 Seiten berichtet Stuckrad-Barre von lang vergangenen Lesungen, Madonnas vorletztem Album und Robbie Williams vorvorletzter Tournee. Er schreibt – ausgerechnet– Klosprüche ab, persifliert die längst vergessene Affäre zwischen Boris Becker und Sabrina Setlur, trifft Julian Nida-Rümelin und erzählt von Menschen, die im Spiegel gelesen haben, dass Berlin-Mitte sehr, sehr aufregend sei. So weit, so unfassbar retro: Es sind Nachrichten aus einer soeben erst vergangenen und gerade deshalb seltsam fremd wirkenden Epoche.

Und so entpuppt sich die vom Verlag versprochene „raffinierte Textkomposition“ schnell als literarische Resterampe, in der man lange grabbeln muss, bis man ein Kapitel findet, das an seine besten Texte aus „Deutsches Theater“ heranreicht. Sosehr man sich auch bemüht, das Buch für sich sprechen zu lassen: Entweder sind die medialen Begleitgeräusche zu schrill oder die Texte selbst zu leise.

Vor allem aber – das macht die Lektüre so unergiebig – ist „Remix 2“ nicht auf der Höhe des einzigen Diskurses, für den sich Stuckrad-Barre dieser Tage wirklich interessiert: seines eigenen. „Es kann funktionieren, eigentlich muss es scheitern, aber hinterher kann man es eine Erfahrung, ein Experiment nennen, so kann man ja vieles tarnen und rechtfertigen“, schreibt er über eine Lesung bei „Rock am Ring“. Und während man noch darüber nachdenkt, wie wild es damals gewesen sein muss, irgendwann 2000, als Stuckrad-Barre in einem Zelt links neben Sting und Santana las, sitzt ebendieser Stuckrad-Barre bei Beckmann und erzählt davon, dass gerade jetzt: hinterher ist. Dass er als multimediales Allround-Experiment gescheitert sei, dafür aber geläutert, frisch entgiftet und weiser als zuvor.

Das passende Buch zum Comeback-Märchen zu schreiben, dafür blieb die Zeit nicht. Er sei dran, sagt er, ein toller Stoff, diese Sucht nach massenmedialer Duplizierung der eigenen Person und nicht zuletzt die Flucht in Kokain und Bulimie. Jetzt, wo alles vorbei sei. Man darf seine Zweifel haben: Zu selbstmitleidig sind seine aktuellen Interviews, zu groß scheint die Sucht nach Öffentlichkeit, als dass er darauf verzichtet hätte, mit seinem maximale Aufmerksamkeit erregenden Bekenntnisdrang ohne Not neue Begehrlichkeiten zu produzieren. Die Talkshow-Kultur, so scheint es, frisst ihre prominentesten Kinder: „Remix 2“ jedenfalls hält weder neue noch alte Versprechungen. „Wer dies liest ist schwul. Wer dies liest ist asozial“, hat Stuckrad-Barre von der Wand einer Toilettenkabine abgeschrieben. Wer dies liest, möchte man hinzufügen, ist eines auf keinen Fall: schlauer als zuvor.

Benjamin v. Stuckrad-Barre: „Festwertspeicher der Kontrollgesellschaft Remix 2“, Kiwi-Paperback, Köln 2004, 485 Seiten, 12,90 Euro