Der Habsburger und das It-Girl

Wilhelm von Habsburg neigte zum Sozialismus und zur Verkleidung. Timothy Snyder hat die Abenteuer des Roten Prinzen, der König der Ukraine sein wollte, aufgeschrieben

Die Ukraine sollte in einem Stall geboren werden. Zumindest war das der Plan von Wilhelm Franz von Habsburg-Lothringen. Unter der Führungen Seiner Majestät spielten Soldaten 1918 auf den Höfen von Bauern der Gegend selbstverfasste Theaterstücke, die die Menschen von der Idee einer ukrainischen Nation überzeugen sollten. Wilhelm hatte romantische Ideale: Mit seiner Truppe besuchte er historische Schlösser im Sonnenuntergang und errichtete Gipfelkreuze auf den Bergen. Er wollte die „Ukranisation“, wie er es nannte. Das Ende deutscher und russischer Macht über den Staat. Und er wollte der König der Ukraine sein.

Wilhelms ukrainischer Traum ist der rote Faden durch Timothy Snyders Biografie dieses eigenwilligen Verwandten von Kaiser Franz Joseph. Und man ist froh, dass es diesen Faden gibt, ansonsten verlöre sich der Leser allzu schnell in den ideologischen Irrungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In Wilhelms Wanderleben nämlich spiegelt Snyder die europäische Geschichte wieder: das Ende des Imperiums der Habsburger, den aufkommenden Nationalismus, Faschismus, die zwei Weltkriege und zuletzt noch den Kalten Krieg. Ganz am Ende tauchen sogar noch Nicolas Sarkozy und Barack Obama auf. Wie Wilhelm von Habsburg eigentlich Außenseiter mit gemischter Herkunft, die doch führende Politiker in Staaten mit großem nationalen Bewusstsein geworden sind.

Wilhelm von Habsburg ist eine schillernde Gestalt, und Snyder zeigt ihn mit all seinen Gegensätzen. Er wurde 1895 an der kroatischen Küste geboren, als jüngster Sohn von Stephan von Habsburg und Maria Theresia von Österreich-Toskana, er wurde als Pole erzogen und sah sich selbst seit einem Ausflug als Jugendlicher in die ukrainischen Berge als Ukrainer.

Als Erwachsener folgte Wilhelm eisern seiner Mission, die Ukraine zu befreien – wenn er nicht gerade am Strand, auf der Piste oder im Bordell war. 1921 gründete er eine Zeitung unter dem vom Kommunistischen Manifest inspirierten Motto „Ukrainer aller Länder, vereinigt Euch“, im April 1936 sah er die einzige Chance einer unabhängigen Ukraine im Faschismus. Kiew, die Hauptstadt der Ukraine, sollte er zum ersten Mal sehen, als die Rote Armee ihn dorthin verschleppte. Sie verhörten ihn zu Tode. Am 18. August 1948 verstarb Wilhelm von Habsburg im sowjetischen Gefängnis.

Der Monarch mit sozialistischen Neigungen liebte Verkleidungen: Er trug die Uniform eines Habsburger-Offiziers, aber ließ darunter den Kragen seines traditionell bestickten ukrainischen Hemdes aufblitzen, er konnte mit dem Säbel ebenso umgehen wie mit dem Golfschläger und er liebte Männer wohl ein bisschen leidenschaftlicher und häufiger als Frauen.

Die wiederum liebten ihn dafür umso heftiger – ein Pariser It-Girl verwickelte den Exilanten zwischen den Weltkriegen in einen Betrugsskandal, als er versuchte, Geld für die Rückkehr der Habsburgermonarchie aufzubringen, sie brachte ihm eine Gefängnisstrafe von fünf Jahren ein, aber ließ sich dennoch nur schwer davon abbringen, dem Fliehenden nach Wien zu folgen.

Eine politisch geeinte Ukraine unter Habsburgerherrschaft war ein fantastisches Projekt, zu viele Mächte stritten um das Gebiet, das meist doch nur als Kornkammer betrachtetet wurde. Anders als beispielsweise Polen, dessen Königwürde Wilhelms Vater Stephan anstrebte, war die Ukraine immer aufgeteilt und fremdbeherrscht. Also ist es fast folgerichtig, dass gerade ein Fantast wie Wilhelm von Habsburg Einigung und Unabhängigkeit zu seiner Mission machte.

Viele Probleme, die die Ukraine auch nach der Orangenen Revolution von 2004 noch bestimmen, lassen sich in diesem Buch aus der historischen Perspektive verstehen. Spuren von Wilhelms Familiengeschichte sind noch in der globalisierten Welt der Konzerne sichtbar: Die Brauerei Żywiec, einst im Besitz von Stephan von Habsburg, später erst von den Nazis beschlagnahmt, dann vom polnischen Staat, gehört jetzt zu der Megabrauerei Heineken. Auf der Flasche ist noch immer die Habsburgerkrone.

„The Red Prince“ ist eine beeindruckende akademische Leistung. Timothy Snyder, Professor in Yale und Experte für osteuropäische Geschichte, recherchierte Wilhelms Abenteuer mithilfe von Dokumenten in 12 Sprachen, die er in über 20 verschiedenen Archiven Europas zusammensuchte.

Dennoch aber ist es dem Historiker gelungen, seine Geschichte mit leichter Hand aufzuschreiben, so dass der Leser nicht von dem Faktenreichtum erdrückt wird. So wie Wilhelm selbst zeigt auch Snyder einen gewissen Hang zur Mythologie. Sein Buch beginnt wie ein Märchen: Es war einmal eine Prinzessin, die lebte in einem Schloss, wo sie Bücher rückwärts las: vom Ende zum Anfang.

„The Red Prince“ ist ein Buch geworden, das sich auf jeden Fall lohnt zu lesen. Egal in welche Richtung.JUDITH LUIG

Timothy Snyder: „The Red Prince. The Fall of a Dynasty and the Rise of Modern Europe“. The Bodley Head, London 2008, 352 Seiten