An dem Produkt ist was kaputt

Judith Holofernes und ihre Berliner Band „Wir sind Helden“ propagieren die Konsumverweigerung mit einem Lächeln

Erst im zweiten Moment erkenne ich sie. Ich erkenne sie erst, als sie lacht; vielleicht ist es auch nur ein Lächeln. Judith Holofernes sitzt mit ihren Jungs vor einem Frühstückscafé in Prenzlauer Berg und trägt dunkle Jeans und Sweatshirt. Sie schaut und winkt und lächelt dann dieses blitzende, aufmunternde Lächeln, mit dem sie schon Harald Schmidt und die ganze, von ihr besungene „Talkshow-Nation“ verzaubert hat.

Wer so lächeln kann, der braucht die Zahncreme von „Dr. Best und seinem Sohn“ wirklich nicht. Der braucht tatsächlich einfach nur „sein Leben zurück“, wenn er mal wieder auf zu viele überflüssige Sonderangebote hereingefallen ist. „Guten Tag“ (Die Reklamation), der Überraschungshit dieses Frühjahrs, läuft schon seit einer kleinen Weile auf MTV. Das Liedchen klingt nach Berlin, flackert wavig vor sich hin, und der Text wird mit der Zeit immer bissiger. Der Refrain kommt mit süßem Groll daher: „Ich kauf nichts mehr, Ich will mein Leben zurück.“

In „Guten Tag“ singt Judith Holofernes: „Ich hatte es kaum zu Hause ausprobiert, da wusste ich schon. An dem Produkt ist was kaputt – das ist die Reklamation.“ Und wenn man das Lied zu Ende gehört hat mit all seinen Aufzählungen kaputter Produkte, denkt man ernsthaft, dass vielleicht gar nicht nur die einzelnen Produkte, sondern überhaupt das gesamte Produktsystem kaputt sein könnte.

Wie schreibt schon Naomi Wolf im „Mythos Schönheit“ über das Produkt, an dem was kaputt ist? „Der Schönheitskult bietet Frauen an, ihnen eine Imitation jenes Strahlens zu verkaufen, das sie schon besitzen.“ Judith Holofernes kann das nur bestätigen: „Je weniger man das, was man braucht, von außen nimmt, desto mehr findet man es innen, weil es nicht zugeschüttet wird.“

Ironischerweise scheint gerade Judiths natürlicher Style ein weiterer Grund für den überraschenden Erfolg der „Helden“, die sich einst in Hamburg bei einem Pop-Kurs kennenlernten und deren Mitglieder noch immer in verschiedenen Städten leben. Kaum auf Erfolgskurs, häuften sich die Stimmen, die Judith Holofernes als „schönste Frau der Welt“ bejubelten – dankbar, dass eine NDW-Revival-Kapelle auf die übliche schrill-punkige Frontfrau à la Mia verzichtet.

Aus der Sicht der Sängerin scheint es jedenfalls ganz einfach, sich mit dem Kapitalismus zu duellieren: „Meine Stimme gegen ein Mobiltelefon. Meine Fäuste gegen eure Nagelpflegelotion. Meine Zähne gegen die von Dr. Best und seinem Sohn. Meine Seele gegen eure sanfte Epilation.“ Und schwupps, der Konsumkultur einen Zahn gezogen. Und wie nebenbei den Beweis erbracht, dass man auch in Krisenzeiten ohne Plattenvertrag und aufwändiges Video in die Charts kommen kann. Vorausgesetzt man trifft einen Nerv, und alle steigen darauf ein – Radio, Musikfernsehen, Fans.

Vom plötzlichen Erfolg ist Judith allerdings auch überrascht: „Die Reklamation war als Experiment gedacht – ich kann noch gar nicht glauben, dass es so vielen Leuten aus der Seele gesprochen hat. Wir sind sowieso einigermaßen fassungslos darüber, dass man seine Songs einfach in Eigenregie rausbringen kann, und die dann überall laufen. Die Leute um uns herum haben uns andauernd gewarnt: Das geht so nicht. Man kommt nicht einfach ohne Plattenfirma ins Radio! Und wenn man einmal gelernt hat, dass es auch anders funktioniert, dann macht das außerordentlich frei. Für die Zukunft.“

Ein One-Hit-Wonder ist die Band mit dem gewöhnungsbedürftigen Namen jedenfalls schon mal nicht. Auch die Nachfolge-Single „Müssen Nur Wollen“ – wieder eine lustige Auseinandersetzung mit den Verrücktheiten der Leistungsgesellschaft – tummelte sich wochenlang in den deutschen Charts. Die 27-jährige Songwriterin erklärt: „Jeder geht mal eine Weile lang zugrunde, weil er denkt: komisch, ich kriege suggeriert, ich könnte total super aussehen, gleichzeitig 24 Stunden am Tag in einem tollen Job arbeiten, und in der Nacht ganz viel Sex mit 15 verschiedenen Männern haben – wovon einer mein geliebter Ehemann ist, weil ich natürlich auch treu bin.“ Mehr erhellende Einsichten dieser Art gibt es auf dem Debütalbum „Die Reklamation“, das Anfang Juli erscheinen wird. Man hört dem Album die typisch radiotaugliche 2003-Produktion an, trotzdem ist es auch zeitlos großer Songwriter-Rock/Pop in der Tradition von Elvis Costello und Rio Reiser.

Ähnlich wie Rio Reiser, ihr Vorbild, hat auch Judith Holofernes die ersten Jahre ihres Lebens in Berlin verbracht, ging dann in Süddeutschland zur Schule und wieder zurück nach Berlin. Wie er schreibt sie Songs, die den grotesken Alltag beim Namen nennen und Gefühle vermitteln können. Etwa über unser Leben vor dem Fernseher, im Medientaumel, und überhaupt: „Volksparteien, Mittelspur, Abgrenzung im Notfall nur zur Fönfrisur. Dotcomsterben, doch nichts erben, Brot erwerben, Traum in Scherben – weiter werben.“

Und, keine Frage: Eine Songschreiberin, die ein Stück „Die Zeit heilt alle Wunder“ nennt, wäre auch ohne wunderschönes Lächeln eine äußerst seltene Figur im deutschsprachigen Pop.

KERSTIN GRETHER