Die Vergangenheit, die nicht vergeht

Exmitglied der Roten Brigaden, der an Moros Entführung beteiligt war, darf an Universität in Rom nicht sprechen

BERLIN taz ■ Ein Streit an Italiens größter öffentlicher Universität wächst sich zu einem handfesten politischen Skandal aus. Im Dezember hatte die Universität Sapienza in Rom Valerio Morucci zu einem Vortrag über „Kultur, Gewalt, Gedächtnis“ eingeladen. Nach einem Sturm der Entrüstung musste die für den 12. Januar geplante Veranstaltung jetzt abgesagt werden. Der Grund: Morucci war Mitglied der linksterroristischen Gruppe Brigate Rosse (BR) und an dem Anschlag im März 1978 beteiligt, bei dem die Brigaden fünf Polizisten töteten und den christdemokratischen Politiker Aldo Moro entführten. Moro wurde nach 55 Tagen Geiselhaft von den Brigaden erschossen.

Die Einladung war am 16. Dezember per E-Mail in der Fakultät verschickt worden und sorgte sofort für Aufruhr, der zunächst jedoch intern blieb. Die Universität dürfe „niemanden legitimieren, der sich die Hände mit Blut befleckt hat“, hieß es vonseiten aufgebrachter Professoren. Der Veranstalter des Vortrages, Prof. Giorgio Mariani, erklärte daraufhin am 28. Dezember in einem Brief, die Idee stamme nicht von ihm, sondern von einem Polizisten, der mit Exterroristen in Rehabilitierungsprogrammen arbeite. „Polizei und Rechtsprechung bewerten diese Begegnungen als positiv, weil sie einen erzieherischen Gehalt haben. Sie warnen die neue Generation davor, Fehler der Vergangenheit zu wiederholen“, schreibt Mariani. Und weiter: „Als Erzieher gehört es zu unseren Aufgaben, unsere Geschichte zu reflektieren, anstatt so zu tun, als hätten sich bestimmte Dinge nie ereignet.“

Luigi Frati, Rektor der Universität, sah die Sache jedoch ganz anders: Er bezeichnete die Einladung als „unangemessen“ und drängte darauf, Valerio Morucci wieder auszuladen. „Wenn Morucci über Terrorismus und die Entführung Aldo Moros reden will, diskutiere ich gerne mit ihm – aber nicht an der Universität, sondern in der Via Fani, vor dem Gedenkstein für die fünf ermordeten Polizisten“, sagte er am Samstag der Tageszeitung Repubblica.

Giorgio Mariani, Professor für angloamerikanische Literatur, fühlt sich missverstanden: „Es ging nie darum, Morucci eine Plattform zu geben. Meine Lektionen beschäftigen sich mit Gedächtnis und Zeugenschaft – Morucci sollte darüber sprechen, wie er seine gewalttätige Geschichte in seinen Büchern verarbeitet hat. Die ganze Geschichte ist ein Versuch, die Universität mit Schmutz zu bewerfen“, sagte er gestern der taz. In der Tat nahm niemand den leisesten Anstoß daran, als Morucci vor drei Jahren einen Vortrag an dem römischen Gymnasium Giulio Cesare hielt. Die Zeitung Il Messaggero zitierte damals die Schulleiterin Chiara D’Alessandro mit den Worten: „Ich fühle mich durch den Besuch Moruccis geehrt. Sein Buch ist ein beeindruckendes Lehrstück.“ Anlässlich Moruccis Auftritt an der Sapienza sprach der christdemokratische Politiker Luca Volonté dagegen von „marxistisch-leninistischen, gewalttätigen Professoren“.

Morucci hat eine 15-jährige Gefängnisstrafe verbüßt, sich von den Brigaden distanziert und in drei autobiografischen Büchern harte Selbstkritik geübt. Auf der Website der linken Tageszeitung Il Manifesto kommentierte er seine Ausladung so: „Rabin und Arafat haben sie den Nobelpreis verliehen – in Italien ist es schon ein Skandal, wenn ein Exterrorist über seine Geschichte an der Universität sprechen will.“ JETTE GINDNER