Den Aufstand niederkartätschen

Keine leichten Tage für Amerikas Neokonservative: Die USA sollten Demokratie und Modernität mit Waffengewalt exportieren, verkündeten sie vor einem Jahr. Dass das Experiment im Irak bislang ziemlich schief ging, scheint sie keineswegs zu irritieren

VON ROBERT MISIK

Einstmals, als Chefredakteur des Magazins The National Interest, war der Essayist Michael Lind eine ganz große Nummer unter Amerikas Neokonservativen. Heute geht er hart ins Gericht mit seinen einstigen Mitstreitern, den Neocons, jener schillernden Strömung auf Amerikas Rechten, die Konservativismus mit einem aggressiven Fortschrittspathos vereinigt, die vom hergebrachten Isolationismus der Republikaner in der Außenpolitik ebenso unberührt ist wie von Realpolitik-Zynismus und von Frömmlerei – und deren Protagonisten in Regierung, Thinktanks und Publizistik vor einem Jahr am lautesten für den Irakkrieg trommelten. „In den vergangenen zwei Jahrzehnten waren sie in jeder außenpolitischen Frage falsch gelegen“, schreibt Lind heute. „Als die Sowjetunion schon nahe dem Kollaps war, erklärten diese Falken, sie greife nach der Weltherrschaft. In den Neunzigerjahren übertrieben sie die chinesische Gefahr. Dann waren sie so besessen von Saddam Hussein, dass sie die Gefahr al-Qaida übersahen. Sie sagten, Saddam habe Massenvernichtungswaffen. Er hatte keine. Sie sagten, er paktiere mit Ussama Bin Laden. Er tat es nicht. Sie prophezeiten, es werde nach einem Krieg im Irak keinen Aufruhr geben. Es gab ihn. Sie sagten voraus, es werde eine Welle des Proamerikanismus im Nahen Osten geben, wenn die USA nur entschieden agierten. Stattdessen gab es eine regionale und globale Welle des Antiamerikanismus.“

Fast wortgleich der lapidare Kommentar des Starökonomen und New-York-Times-Kolumnisten Paul Krugman aus der vergangenen Woche: „Sie sind bislang mit allem falsch gelegen – und wenn wir ihren Ratschlägen weiter folgen, wird sich der Irak wirklich in ein zweites Vietnam verwandeln.“

Es sind wahrhaftig keine leichten Tage für Amerikas Neokonservative, die den Irakkrieg als Startschuss zu Demokratisierung, Liberalisierung und Modernisierung im Nahen Osten sahen. Dass sie ihre strategische Orientierung mit schneidiger Überheblichkeit und provozierender Selbstgewissheit vorgetragen hatten, führt jetzt dazu, dass ihnen ein gewisser Spott nicht erspart bleibt.

Aber wie sehen die Neocons selbst heute die Lage, wo der erste Versuch, auf „revolutionäre“ Weise Demokratie und liberale Prinzipien mit Waffengewalt in die Welt zu tragen, ziemlich schief zu gehen droht?

Nun wäre es wahrhaft übertrieben, würde man sagen, sie gingen selbstkritisch mit ihren Thesen ins Gericht. „Die Operation im Irak war ein grandioser Erfolg“, sagt auch heute noch der ehemalige Bush-Berater David Frum, der gerade mit Richard Perle, einem der scharfzüngigsten Propagandisten einer neuen, aggressiven Außenpolitik eine Programmschrift des Neokonservativismus mit dem typischen Titel „An End to Evil“ herausgebracht hat. Dass die Situation im Irak immer aussichtsloser wird, der Gedanke womöglich, dass das Vorgehen der Bush-Regierung dem islamistischen Terrorismus neue Energie zugeführt haben könnte, wird – trotz der Anschläge von Istanbul oder Madrid – weit weggeschoben. Allenfalls ist eine gewisse Gereiztheit zu spüren.

„Am Regime Saddams war nichts gut. Gar nichts. Und an der Befreiung des Iraks war nichts schlecht. Gar nichts“, auf solche eindringliche Dichotomie reduziert etwa der einstige Reagan-Redenschreiber und nunmehrige New-York-Post-Kolumnist John Podhoretz die Lage ein Jahr nach dem Krieg gegen den Irak. „Die Welt ist heute ein unzweifelhaft besserer Ort.“

Podhoretz gilt im Konzert der rechtskonservativen Publizisten auch deshalb als gewichtige Stimme, weil er der Sohn von Norman Podhoretz ist, eines der Urväter der neokonservativen Strömung, die ursprünglich vom undogmatischen Flügel der Linken stammte und sich vor rund vierzig Jahren innerhalb der demokratischen Partei formierte. Einer von Norman Podhoretz legendären damaligen Mitstreitern war Irving Kristol. Kristols Sohn William wiederum gibt heute den Weekly Standard heraus, der allgemein als intellektuelles Sprachrohr der Neokonservativen gilt.

Mag John Podhoretz gar nichts Fragwürdiges in der Irakstrategie der USA erkennen, so vertritt sein Mitstreiter William Kristol im Weekly Standard in einem „Nach Falludscha“ übertitelten Kommentar eine nuanciertere Auffassung. Das große Verdienst von Präsident George W. Bush bestünde, so Kristol, darin, dass er mit der liberalen, lau-pazifistischen Grundhaltung der Clinton-Ära gebrochen habe. Alle Probleme, die es dennoch gebe, hätten ihren Ursprung darin, „dass der Bruch mit der gescheiterten Politik des vorangegangenen Jahrzehnts nicht so scharf war, wie er eigentlich hätte sein müssen“. Die USA brauchen mehr Soldaten, und sie bräuchten mehr Soldaten im Irak. Die USA brauchen mehr Entschiedenheit, und sie bräuchten mehr Aggressivität im Irak. Jedem Anzeichen von Aufruhr müsste mit Gewalt begegnet werden, der Aufstand in Falludscha hätte entschlossen niederkartätscht werden sollen. Außerdem sollte die US-Regierung endlich den Iran für die Unterstützung von Terroristen „verantwortlich machen“ und auf Saudi-Arabien „Druck ausüben“. Wie genau, das lässt Kristol offen.

Dass die USA aber wenigstens ein paar Dinge richtig gemacht hätten, dies sei „das Verdienst von Präsident Bush, nahezu sein alleiniges Verdienst“, formuliert Kristol in einer Analyse, die er gemeinsam mit Robert Kagan verfasste (dem Autor des viel diskutierten Buchs „Macht und Ohnmacht“). Die ewig nörgelnden Diplomaten des State Department wären, ebenso wie die Bedenkenträger im Militär, ohne Bush schon längst vom Kriegskurs abgekommen.

Die Sicht der Neocons ist simpel: Wir sind nicht schuld an der Malaise im Irak. Schuld sind die anderen, ein paar Bad Guys – mal Saddam, mal der angebliche Al-Qaida-Statthalter Abu Musab al-Sarkawi, jetzt vor allem Muktada al-Sadr. Ziemlich schuld sind natürlich die Schwächlinge im Westen, die sich zieren, den Bad Guys mit der Eisenfaust zu begegnen. Die Guten sind gut, die Bösen sind böse. Weil es dazwischen nichts gibt, kann das Tun der Guten, ist es entschieden genug, keine schlechten Folgen zeitigen. Dass es im Irak ein zunehmend bedrohliches religiöses und nationalistisches Ressentiment gibt, „das vom jeweiligen Bad Guy des Tages nur ausgenützt, nicht aber geschaffen wird“, ätzt Paul Krugman, „will offenbar nicht in ihren Sinn“.