Urhütte auf Rädern

Im Februar starb der Architekt Otto Steidle, dessen Konzept der Vielfalt die Berliner Architekturgalerie Aedes gerade vorstellt. Das Wohnliche und das Veränderbare waren ihm so wichtig wie Sachlichkeit

VON ROLF LAUTENSCHLÄGER

Die Ausstellung „Land Stadt Haus“ war mit einem Vorlauf von einem halben Jahr ganz normal geplant, die Sponsoren organisiert: Am 19. März wollte die Berliner Architekturgalerie Aedes im Beisein des Architekten ihre Ausstellung über Otto Steidle eröffnen. Sie wäre auch ein Art Geburtsgeschenk gewesen, denn am 16. März hätte Otto Steidle seinen 61. Geburtstag gefeiert. Doch nun ist sie ein Nachruf geworden, denn am 28. Februar starb Otto Steidle vollkommen überraschend an einem Herzinfarkt.

Wie zur Erinnerung flimmert nun also bei Aedes das Video von der Leinwand herab, das über Otto Steidles Bau- und Lebensentwürfe wenigstens genauso viel erzählt wie die vielen Zeichnungen, Modelle und Fotografien daneben. Protagonist des Films ist der Architekt selbst – auf dem Weg von München zur 7. Architektur-Biennale in Venedig im Jahr 2000. Mit einem bäuerlichen Unimog, dessen Ladefläche Steidle zu seinem gelb-rot bemalten Nomadenhäuschen umgebaut hatte, war er aus Bayern aufgebrochen und hatte im Zeitlupentempo die Alpen überquert, um nach Tagen endlich mit der mobilen Hütte im venezianischen Architekturzirkus aufzukreuzen.

Die Demonstration war sein eigener, heiterer und höchst individueller Beitrag zu der internationalen Bauaustellung, die sich damals mit futuristischen Entwurfsvisionen für das 21. Jahrhundert beschäftigte. Steidle setzte sein Credo von den „wirklich gültigen Dingen“ dagegen – ganz ironisch wohlgemerkt. Dennoch hat er in seinen überaus modernen Wohn-, Geschäfts- und Universitätsbauten die Seiten dieser bewegten „Urhütte“ niemals verleugnet.

Während die globale Architektursprache sich zunehmend in Hightech entmaterialisiert, sind die Gebäude des Münchner Architekten noch immer von haptischem Volumen. Die Bauten lösen sich nicht auf, simulieren nicht Transparenz, sondern bilden an der Außenhaut starke, bewegte Konturen und im Innern – bei aller Luftigkeit – Räume des Wohlbefindens, des fast Heimeligen. Ein Haus müsse für ihn eine „Temperatur“ haben, sagte Steidle einmal. Er meinte damit sicher keine kalte.

Dabei war Otto Steidle beileibe kein Traditionalist. In seiner aus verschachtelten Kuben bestehenden Bibliothek für die Ulmer Universität, in den Wohntürmen in der Münchner Leopoldstraße oder beim Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven verbinden sich kühne technische Sachlichkeit und klare Nutzungsstrenge mit einer heiteren Atmosphäre. In den Ulmer Lesesälen kommt Holz nicht als vertäfelte Fläche daher, sondern als sichtbare Konstruktion; Glas mutiert nicht zur Fassade, sondern bleibt ein Fenster und die monochrome Bemalung ist nicht Ornament, sondern kunsthistorisches Zitat. Ein Konzept der Vielfalt.

Steidle, der bei Sep Ruf in München studiert hatte und wie Günter Behnisch zu den Verfechtern einer demokratischen Architektursprache gehörte, steht aber auch für ein weiteres Konzept: für eine Struktur beim Bauen, die neben dem Individuellen das Veränderbare der Gebäude proklamiert. Die wenigen Skizzen und Zeichnungen für die „documenta urbana“ in Kassel oder für den Wettbewerb für das Verlagshaus von Gruner + Jahr in Hamburg zeigen einen Architekten, der stets experimentierte und das Unfertige, Wandelbare von Räumen und von Nutzungen in den Vordergrund seiner Arbeit stellte.

Von dieser Seite des Architekten und Hochschullehrers, der für das moderne Bauen der Republik immer neue Wege aufgezeigt hat, hätte man sich bei Aedes ein wenig mehr Anschauungsmaterial gewünscht. Dafür aber kann man sich an Steidles Fotografien und Filmen satt sehen. Es sind – neben den Reisedokumentationen zu Venedig und Peking – Landschaftsaufnahmen eines späten Romantikers: Berge in Wolken, Wälder im Schnee, Pferde auf der Koppel und ein Gehöft samt Unimog. Der Architekt Otto Steidle lebte als Bauer im niederbayerischen Harpfing.

„Otto Steidle – Land Stadt Haus“. In der Galerie Aedes West, Berlin, bis 25. April