Um Gottes Willen

Der katholische Gemeindeverband erweitert mit einer Sekundarstufe II seine St.-Johannis-Schule in das Postamt 1 an der Domsheide. Historischer Grund wurde zurückgekauft

Bremen taz ■ Dezent transparent und in metaphysisch glänzendes Gelb getunkt, so ist das Gerüst für die Dachdecker an der Rückfront des Postamts 1 an der Domsheide verkleidet. Gelb und Post, denkt der Passant, prima Werbung in eigener Sache. Und übersieht die Geheimbotschaft. Gelb ist nämlich auch die Farbe des Vatikans. Und dessen Vertreter an der Weser wollen das zentrale Postamt übernehmen.

Um mit ihren geflügelten Boten den Brief- und Paketdienst gewinnbringend zu reorganisieren? „Gott bewahre“, beruhigt Monsignore Ansgar Lüttel, der Propst Bremens und Ehrenkaplan des Papstes. Man werde den repräsentativen Bau kaufen und dann in den Kirchensteuer zahlenden Nachwuchs investieren. Zum Schuljahresbeginn 2005/2006 soll an der Domsheide die Sekundarstufe I der katholischen St.-Johannis-Schule um die Sekundarstufe II ergänzt werden. Und das im Angesicht des evangelischen St.-Petri-Doms.

Alte Angst vor neuer Nähe mag sich dort aber nicht einstellen. Katholensprecher Wilhelm Tacke erzählt, dass die Ökumene in Bremen gut entwickelt sei. Der aktuelle Dompastor Peter Ulrich setze die Tradition der Vorgänger Ortwin Rudloff und Karl-Heinz Daugelat fort, lasse seine Kinder in der Obhut der Katholiken unterrichten, weil dort – im Gegensatz zu den staatlichen Schulen – explizit christlicher Religionsunterricht als nicht abwählbares Fach im Stundenplan stehe. Erst seit 1959 dürfen auch evangelische Kinder an die fünf katholischen Schulen Bremens. Heute stellen sie ein Viertel der 1600-köpfigen Schülerschar.

Tacke: „Jahr für Jahr müssen wir 50 bis 100 Kinder ablehnen, da es nicht genügend Plätze gibt.“ Was seit der PISA-Studie für fast alle Privatschulen gilt. Aber trotz starker Nachfrage werde man auch in Zukunft kein Schulgeld erheben, beteuert Tacke. Bremen und die Kirche teilten sich die Ausbildungskosten im Verhältnis 65 zu 35.

Im Postamt 1 sollen die 5., 6., 11. und 12. Klassen der katholischen Schule zu Bremen untergebracht werden. Propst Lüttel rechnet mit jeweils vier Klassen pro Jahrgang und einer „Nachzüglerklasse“ für Haupt- und Realschüler, die aufs Gymnasium wechseln wollen. Pro Klasse ist an 33 Schüler gedacht, so dass über 500 Schüler an der Domsheide erwartet werden.

Noch ist nichts unterschrieben. Aber die Stadt Bremen, der das Grundstück gehört, will verkaufen, weil sie dringend jede Einnahme benötigt. So scheint die Zustimmung des Vermögensausschusses, der am 30. April tagt, nur noch eine Formalie zu sein. Und die Deutsche Post AG, der die 1876/78 nach Plänen des Berliner Architekten Carl Schwatlo erbaute Immobilie gehört, will verkaufen, da der Altbau seit vier Jahren leer steht. Damals waren Büros und Schalterhalle in den Neubau nebenan verlagert worden.

In Kauf und Umbau gedenkt der katholische Gemeindeverband nach Angaben des Propstes 4,5 Millionen Euro zu investieren. Die Bauarbeiten sollen noch dieses Jahr beginnen. Sprecher Tacke bedauert, dass seine Kirche nicht schon in den Siebzigern so expansionsfreudig war. Damals sei von der Stadt das Alte Gymnasium an der Dechanatstraße zum Kauf angeboten worden, das in Bezug auf Lage, Größe und Architektur eindeutig besser geeignet sei als das Postamt 1.

Um jetzt die Anbindung an St. Johannis zu gewährleisten, werde die Schulpforte in die Post-Rückfront gerissen, so der Propst. Wobei der denkmalgeschützten Fassade kein Leid zugefügt werden soll. Der pompöse Eingang an der Domsheide, der zur Urinier- und Müllabladestelle verkommen ist, soll weiter von der Post AG genutzt werden. Sie möchte ihre Schließfachanlage im Erdgeschoss, Büros im Hochparterre und einen Teil des Kellers nach dem Verkauf zurückmieten. Das restliche Gebäude, vor allem die kompletten Etagen 1 und 2, baue man zur Schulnutzung um. Das 1896/97 eingezogene Dach des inneren Lichthofs, wo heute Farne, Moose und Lichtluken aus dem Kieselbelag wachsen, werde zum Pausenhof, erklärt Lüttel. Aber was ist mit dem Prunkstück des Gebäudes, dem mit Büsten, Stuck und allegorischen Fresken Artur Fitgers geschmückten Kaisersaal? Verchromte Sitzgelegenheiten und vasige Lampen im schäbigen 60er-Jahre-Stil verunstalten den privaten Ballsaal des Oberpostdirektors momentan zum Sitzungszimmer. Es wäre als Lehrerzimmer vorstellbar.

Die Katholiken Bremens erhalten mit dem Postamt 1 ein für sie bedeutsames Areal zurück. Hobby-Historiker Tacke verweist darauf, dass dort einst der Eschenhof stand: seit 1745 die Residenz des kaiserlichen Vertreters, der auch Chef der kaiserlichen Post war – und damit katholischer Außenposten in der Diaspora der evangelischen Reichsstadt. Bis sie 1807 die Bürgerrechte käuflich erwerben durften, beschränkte sich die Religionsausübung der katholischen Gastarbeiter auf die Eschenhof-Enklave. Nur dem habsburg-lothringer Botschafter war es gestattet, zwei Kapläne für Familiengottesdienste zu beschäftigen. Und die Bremer Obrigkeit duldete es, dass sich der Familienbegriff auf die gesamte Katholikenschar Bremens bezog. So konnte die Wagenremise des Eschenhofs zur ersten „catholischen Capelle“ Bremens hergerichtet werden. Zur Firmung durfte sogar der Bischof vorbeikommen.

Nach Berechnungen Tackes war das Gotteshaus mit 175 Quadratmetern eindeutig zu klein für die etwa 2.000 Katholiken der Stadt. So sammelten sie im ganzen Reich, um das Geschenk Bremens, die St.-Johannis-Kirche, für sich nutzbar zu machen – was 1823 der Fall war. Bremens erste katholische Schule war im Refektorium des Johannisklosters eingerichtet worden. Derweil ging der Eschenhof wieder an die Stadt.

In Bremen leben heute 62.000 Katholiken, das sind etwa 12 Prozent der Bevölkerung. Ob entsprechend viele Quadratmeter Bremens dem Gemeindeverband gehören? „Das ist nicht bekannt“, wiegelt Tacke ab. Aber dafür, dass jetzt 15.000 Quadratmeter an der Domsheide eingemeindet würden, müsse woanders bald wieder ausgemeindet werden. Das vor 2.000 Jahren mit zwei Angestellten in einem Stall gegründete Unternehmen muss in ökonomisch harten Zeiten auch so hübsche Worte wie „Konsolidierung“ oder „Synergieeffekte“ mit Leben erfüllen. Schließlich zahlen seit Jahren immer weniger, immer ältere, immer ärmere Schäfchen immer weniger Kirchensteuern. Zudem fehlen der katholischen Herde zunehmend die Leittiere: Pfarrermangel. Aus diesen Gründen würden, laut Tacke, demnächst Gemeinden zusammengelegt, Kirchen geschlossen, Flächen verkauft. So wie man schon 1995 St. Franziskus (Grolland) und 1999 St. Laurentius (Vahr) habe abreißen müssen. Jens Fischer