berliner szenen Wiedersehen in Bellevue

Der Präsident

Johannes Rau schreibt, wie er spricht. Langsam, bedächtig, entschlossen. Strich für Strich ritzt er seinen Namen in die ersten Seiten der druckfrischen Bücher, während die Schlange vor ihm länger wird. Nicht, dass der Kugelschreiber kaputt wäre, er funktioniert tadellos. Es ist eher so, dass Rau nichts überstürzen will. Die Zeit muss sein, gerade jetzt, wo seine abläuft. Dreimal setzt er für ein J an, dreimal für ein U. Dann hält er inne, guckt, ob alles stimmt, und setzt einen Punkt. Rau steht im ersten Stock seines Schlosses, blinzelt zwischen zwei Büchern raus in den Park und wirkt dabei wie ein Hotelbesucher, der weiß, dass er gleich auschecken wird.

„Weil der Mensch ein Mensch ist. Johannes Rau im Gespräch mit Evelyn Roll“ steht auf dem Einband des Buches. Ein Buch, das auffällt, wenn man vor dem Schloss in den 100er steigt. „Ein guter Präsident“, sagt ein Mann in gebrochenem Deutsch. „Wir werden erst wissen, wie gut er war, wenn der Nächste kommt.“ Voll Verachtung spricht er von Köhler, einem Mann der Wirtschaft, schlimmer noch, einem Verbrecher vom IWF. „Niemand in der Dritten Welt wird das verstehn.“ Kopfschüttelnd zeigt er auf Rau, der plötzlich noch milder vom Einband herunterschaut. Draußen liegt das Haus der Kulturen traurig in der Sonne.

CORNELIUS TITTEL