René McCartney, inflationär

Der Ex-Beatle sieht aus wie ein glücklicher Mensch, ist immer noch gut und glaubt immer noch an die Musik und daran, dass alles möglich ist: Ressentimentfreies Konzert in der AOL-Arena

von KRISTOF SCHREUF

Auf der Bühne steht René Magritte. Das ist ein Mann im Anzug, mit Melone auf dem Kopf und in der Hand ein Spazierstock an dem ein Apfel angebracht ist. Der Mann bewegt sich neben bunt, wallend und anachronistisch gekleideten Herrschaften. Es handelt sich um die Besucher eines Kostümballs zur Zeit des Rokoko. Nach etwa einer Viertelstunde des gestischen Miteinander-zu-tun-Bekommens tragen die Ballbesucher den Himmel in Form von sechs Ballons durch die Zuschauerreihen. Während die Ballonträger unterwegs sind, begleitet sie ein pompöser Ambienttrack.

Als der abbricht, tritt ein Mensch auf. Eine historische Figur. Ein „handsome Beatle“ (Volksmund) und ein Kopf des „four headed Monster? (Mick Jagger). Heute einer, der die Stadt Hamburg „brüskiert“ (Bild), weil er keine Zeit findet, zwischen Soundcheck und Auftritt ins Rathaus zu kommen und sich ins Goldene Buch einzutragen. Zunächst ist nur sein Schatten auf einer Leinwand zu sehen. Der Mann reckt die Arme nach oben. Die linke Hand hält eine Höfner-Bassgitarre in die Höhe. Die Leinwand wird weggezogen, und wir stellen uns Paul McCartney als glücklichen Menschen vor. Er stößt mit seinem Instrument noch ein paar Mal in den Himmel von Stellingen. Ein bisschen wie ein Goldmedaillengewinner, ein bisschen wie ein amerikanischer Präsidentschaftskandidat. Ein bisschen wie die gut gelaunte Version von jemandem, der seine Biografie Ich hab‘s allen gezeigt nennt. Aber ohne Ressentiments.

McCartney ist 26 Jahre älter als Stefan Effenberg. Er wird im Juni 61 und er beginnt sein Konzert mit einem Song, den er schrieb, als Stefan Effenberg gezeugt wurde: „Hello Goodbye“. In die AOL-Arena sind, um ihm zu lauschen, viele Paare gekommen. Rund 30.000 Menschen, erfreut, gefasst und meistens so gekleidet, wie sie sich auch für die Kieler Woche angezogen hätten. Der Ex-Beatle aber ist Popstar, und es gibt im Publikum bestimmt nicht wenige, die sich fragen, ob er mehr als ein Popstar ist. Das Konzert von McCartney zeigt jedenfalls jemanden, der an Musik glaubt. „Alles ist möglich“ ist für ihn keine Losung politischer Extremisten oder von Motivationstrainern. Sondern der rosig sonnige Status quo für zweieinhalb Stunden mit und ohne Band. Alles, was er tut, spielt und ist, bedeutet: „Mach etwas draus.“ Nimm einen Song, der von Traurigkeit oder Trauer handelt und schreibe ihn für deine Zwecke um. Diese Zeile, der erste Vers der Zugabe „Hey Jude“, schnell hingeworfen auf Papier und bei der ersten Probe fast entschuldigend dem Bandkollegen John Lennon vorgetragen, enthält das Geheimnis über den Zusammenhang zwischen Pop und Musik. Dem sind auch andere auf der Spur. „Demut vor der schieren musikalischen Freiheit“ schreibt der Musiker Ekkehard Ehlers über McCartney. Denn der ist ein Musiker, der darauf achtet, dass für ihn diese Demut nicht zu schwer wiegt.

Unzählige Male ist er deshalb für „zu leicht“ befunden worden. Das hatte Folgen. Wie bei bildender Kunst heute am liebsten nur noch gefragt wird, wieviel der van Gogh bei der jüngsten Versteigerung gebracht hat, so wird bei McCartney am liebsten kolportiert, wie viel Geld er hat und ob das, was er seit den Beatles tut, „denn noch so gut“ ist wie damals. Paul McCartney ist gut, ein Popstar oder berühmt zu sein dagegen sinkt im Wert. Der Journalist Helmut Ziegler hat in der aktuellen Ausgabe von GQ, der Zeitschrift für die harten Wahrheiten, geschrieben, dass es nicht mehr viel Lust mache, berühmt zu sein. „Inflationär“ verbreitet und gängig seien die Mittel und Methoden, Aufmerksamkeit ohne Ausbildung, Abitur und Studium zu erreichen. Paul McCartney kann gar nicht inflationär genug werden.