Präsident rebelliert gegen Warlord

Die Kämpfe im afghanischen Herat mit 100 Toten sind Ausdruck wachsender Spannungen zwischen dem lokalen WarlordIsmail Khan, „dem Emir von Westafghanistan“, und Afghanistans Präsident Karsai. Der will jetzt Herat unter Kontrolle bringen

AUS KABUL JAN HELLER

Was genau zum Ausbruch der Kämpfe im westafghanischen Herat führte, bei denen Luftfahrtminister Mirwais Sedik, der Sohn des Herater Gouverneurs Ismail Khan, sowie bis zu 100 weitere Menschen zu Tode kamen, ist weiter unklar. Die afghanische Zentralregierung unter Präsident Hamid Karsai entsandte gestern 600 Soldaten in die Stadt, Gerüchte über die baldige Ab- oder Versetzung Ismail Khans kursierten. Saher Naebsada, erst unlängst von Karsai an Khans Stelle als neuer Armeekommandeur der Region eingesetzt, beschuldigte den starken Mann Herats, er habe ihn wieder aus dem Amt entfernen lassen wollen. Rafik Schahir, ein führender Oppositioneller, sprach von einer Rebellion.

Für viele Beobachter im Land galt Herat bisher als Paradebeispiel für Stabilität. Die alte Kulturstadt ist wohlhabender als die Hauptstadt Kabul, Beamte werden pünktlich bezahlt, vor den Toren der Stadt stauen sich importierte Gebrauchtwagen. Gerade wurde ein großzügiger Park eröffnet. Doch jetzt mussten US-Truppen sogar die dortige Außenstelle der deutschen Botschaft evakuieren, in deren Nähe die Kämpfe stattgefunden hatten. Nach bisher vorliegenden Berichten wurde das Gebäude zwar beschädigt, aber niemand kam zu Schaden.

Ismail Khans Aufbauerfolge beruhen auf Unterschlagung. Er bekennt sich zwar verbal zur Zentralregierung, enthält ihr aber den Löwenanteil aus den beträchtlichen Zoll- und Steuereinnahmen der westafghanischen Grenzübergänge Islamkala und Torghundi vor. Damit finanziert er seine Privatarmee. 10.000 Mann schützt Khan somit vor der Demobilisierung.

Und er spielt auf der Klaviatur der so genannten Dschihadi-Werte: dass nur diejenigen, die Sowjet-Besatzung und Taliban bekämpft haben, Afghanistan regieren dürfen. Khan selbst verbrachte zwei Jahre in Ketten in Taliban-Kerkern. Heute ist Herat ein Schwerpunkt Taliban-ähnlicher Menschenrechtsverletzungen. Ismail Khan – der sich in den Lokalmedien stets „Seine Exzellenz, der Emir von Westafghanistan“ nennen lässt – regiert mit harter Hand. In Gefängnissen wird geprügelt, Afghanen dürfen Ausländer nicht zu sich einladen, Frauen nicht bei ausländischen NGOs arbeiten oder Auto fahren. Eine Religionspolizei ordnet Jungfräulichkeitstests an, werden Frauen mit nicht verwandten Männern auf der Straße angetroffen. In wenigen Monaten verbrannten sich laut Kabuler Frauenministerium 52 Frauen aus Verzweiflung oder Protest.

Unter der Oberfläche gärte es in Herat schon länger. Die Oppositionellen der Stadt haben Khan nicht vergessen, dass er sie mit Schüssen aus der Moschee jagen ließ, als sie nach der Flucht der Taliban die Verwaltung übernehmen wollten. Seine Bewaffneten drangsalieren paschtunische Händler und die schiitische Minderheit. Neulich ohrfeigte er öffentlich den Bankdirektor der Stadt. Ein anderer Warlord, der Paschtune Amanullah südlich von Herat, ist zu einer Art inoffiziellem Oppositionsführer geworden.