Hängen im Schacht

Kulturverträge sind nichts mehr wert: Wie in Essen niemand für die Kündigung des energiegeladenen Projekts „Zeitgenössische Kunst und Kritik“ in der Kokerei Zollverein zuständig sein will, aber jeder daran interessiert ist, dass die Projektleiter, Florian Waldvogel und Marius Babias, ihre Posten räumen

VON GREGOR JANSEN

Der Vorgang klingt absurd. Nach dreijährigem Bestehen wurde das vertraglich auf fünf Jahre garantierte Kunstprojekt „Zeitgenössische Kunst und Kritik“ in der Kokerei Zollverein im Essener Norden Ende 2003 überraschend gekündigt. Trotz vorhandener Förderung für das Jahresprogramm 2004 „Ramp“ durch die in Halle ansässige Kulturstiftung des Bundes wird das ambitionierte Gesamtprojekt nicht fortgesetzt. „Ramp“ sollte in diesem Sommer auf dem Areal der Kokerei eine große multifunktionale Skaterbahn mit Freizeiteinrichtungen, Beratungs- und Handwerks-, aber auch Arbeitsplätzen für Jugendliche installieren – gebaut für einen Zeitraum von zehn Jahren.

Nichts von alledem wird stattfinden. Der bisherige Träger, die Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur, hat die Verträge der beiden Leiter, Florian Waldvogel und Marius Babias, zum 31. Dezember 2003 gekündigt. Grundlage dafür sei eine Vorgabe des Ministeriums für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen, die ab 2004 eine Gesamtkoordination aller Projekte auf dem Gelände des Zollvereins durch die Entwicklungsgesellschaft Zollverein (EGZ) vorsehe. Das Ministerium dementiert, spricht von allgemeinen Projektzuschusskürzungen und verweist – wie übrigens auch die EGZ – wiederum auf die Stiftung als Eigentümer. Keiner will es gewesen sein – und alle Verhandlungen bezüglich einer Kofinanzierung des Projekts „Zeitgenössische Kunst und Kritik“ durch die EGZ sind restlos gescheitert. Warum, bleibt offen. Für die beiden Projektleiter sieht es so aus, als hätten Stiftung, die EGZ und damit verbunden die Projekt Ruhr GmbH und die Stadt Essen kein Interesse mehr an der Fortführung dieses kleinen, aber höchst energiegeladenen, theoriegewaltigen und praxisorientierten Bausteins im 100 Hektar großen Weltkulturerbeareal.

„Wir wurden aufgefordert, sowohl von der Stiftung als auch von der EGZ, einen Eigenanteil in Höhe von Euro 50.000 einzuwerben, was wir erfolgreich taten“, erläutert Florian Waldvogel, der nun wieder in Frankfurt wohnt. Und sein Kollege Marius Babias in Berlin ergänzt: „Am 2. Dezember gab es eine Sitzung in Dortmund, wo uns mitgeteilt wurde, dass unsere Verträge zum 31. 12. gekündigt werden! Doch uns liegen Bewilligungsbescheide des Landes NRW vor, dass die EGZ Mittel bis 2006 für uns hat. Von denen will aber niemand mehr etwas wissen.“ Waldvogel sagt: „Wir haben doch gemeinsam mit Wolfgang Roters noch Anfang Januar diesen Jahres versucht, den Betrag der Bundeskulturstiftung zu sichern, und hatten Ende Januar alle einen Termin in Halle.“

Wissen muss man nun, dass die landespolitische Konstruktion der Projekt Ruhr GmbH mit Sitz in Essen nach der Internationalen Bauausstellung Emscherpark von Wolfgang Clement initiiert und eingesetzt wurde, um den Gesamtumbau von Duisburg bis Hamm zu koordinieren. Der aus dem Landesministerium kommende Geschäftsführer der EGZ, Dr. Wolfgang Roters, kennt diese Verhältnisse sehr genau. Er war es auch, der den beiden die Finanzierung zusicherte, wenn sie entsprechende Eigenmittel akquirierten. Das konnte er aber nur in seiner Funktion als Vorstandsvorsitzender der Stiftung Industriedenkmalpflege mit Sitz in Dortmund tun. Sicher hat Roters Probleme genug. Jetzt kommen auch noch die ihre Ansprüche einklagenden Waldvogel und Babias dazu, die wiederum nach Ansicht der Stiftung wenig Einsicht gegenüber der haushaltspolitischen Lage des Städtebauministeriums in Düsseldorf gezeigt hätten. Warum auch, sagen beide, schließlich spielte Roters ein doppeltes Spiel, und man sei Hilfe suchend Ende Dezember an den Kulturdezernenten der Stadt Essen, Oliver Scheytt, herangetreten. Der jedoch – so wird hinter vorgehaltener Hand gesagt – führe einen Machtkampf mit seinem Kollegen Roters um den Standort Zollverein. Roters entgegnete jetzt, sein Wille sei bis zuletzt gewesen, das Projekt zu retten. Erstaunlich bleibt dann, dass er bereits zugesagte Landesmittel in Höhe von 180.000 Euro wieder streicht und zugleich bereits Ende Dezember die Kündigung schriftlich niederlegt und zu guter Letzt den wichtigen Termin mit der Bundeskulturstiftung in Halle platzen lässt. Roters sagt, die Identität von Zollverein sei vorrangig. Und da sei man sich nicht einig.

Schreiben wir also den ersten Nachruf: Das 2001 initiierte Gesamtprojekt etablierte auf dem ehemaligen Industriegelände der Kokerei Zollverein einen kulturellen Produktionsort für zeitgenössische Kunst, Kritik und Kommunikation. Das Programm orientierte sich an jährlich wechselnden Schwerpunkten. 2001 lief „Arbeit Essen Angst“ mit über 25 internationalen KünstlerInnen und ExpertInnen, die sich mit der Arbeits- und Freizeitgesellschaft sowie mit den Themen ArbeiterInnenkultur und Rechtsradikalismus auseinander setzten. Im Mittelpunkt von „Campus“ (2002) standen neue Modelle und Vermittlungswege von Wissen, Ausbildung und politischer Mündigkeit; insgesamt fanden über 30 Veranstaltungen in den Bereichen Bildende Kunst, Politische Ökonomie, Stadt und Jugendkultur statt. 2003 wurde das Projekt „Die Offene Stadt: Anwendungsmodelle“ zum Thema Kunst und Öffentlichkeit mit KünstlerInnen, Studierenden und Jugendlichen vor Ort realisiert.

Florian Waldvogel und Marius Babias bedauern das unerwartete Ende und die fehlende kulturpolitische Bereitschaft an einer Fortführung des Projekts, zumal nun beträchtliche Fördermittel der Kulturstiftung des Bundes am Ruhrgebiet und der Stadt Essen vorbeigehen. Sie erklären: „Weder wurde uns Zeit zur Einwerbung weiterer Fördergelder eingeräumt, noch wurden seitens der Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur Anstrengungen unternommen, um Drittmittel zu beantragen.“ Das Schlimme hieran ist auch der Status quo einer Kulturpolitik, die überregional Schule zu machen scheint – Kulturverträge sind nichts mehr wert!

Auf Anfrage im agilen Essener Kulturdezernat von Dr. Oliver Scheytt gibt man sich zugeknöpft. „Das Geld sei leider nicht mehr da“, bemerkt Scheytt, „da waren seitens der beiden Leiter leider zu wenig Kontakte zur Stadt und zum Ende auch künstlerische Mängel.“ Die Kündigung und der Verlust des Projekts „Ramp“ seien bedauerlich, aber eine Schließung des so wichtigen Standorts für den strukturschwachen Essener Norden bedeute dies noch lange nicht, schließlich, so betont wiederum die Stiftung, werde zum Beispiel das öffentliche „Werksschwimmbad“ von Dirk Paschke und Daniel Milohnic, zwei Mitgliedern der Künstlergruppe „Phantombüro“, weiterbetrieben. Dann kann der Sommer ja endlich kommen in Essen.