Das Hörspiel lebt

Warum „Jackie“ von Elfriede Jelinek und der BR zu Recht den wichtigsten deutschen Hörspielpreis bekommen

Das Hörspiel, hört man überall, ist alive and kicking. Es bespielt Planetarien, Kneipen, Theater. Oder fährt mit der Berliner S-Bahn. Bis es noch besser wird, kümmern sich Hörspielpreise um das Fortkommen der Kunst. Unter denen ist der „Hörspielpreis der Kriegsblinden“ der traditionsreichste. Er ist undotiert und wird seit 1952 vom Bund der Kriegsblinden Deutschlands vergeben, seit 1994 zusammen mit der Filmstiftung NRW.

Und wieder zog vor den Ohren der 19-köpfigen Jury eine Auslese der Jahresproduktion von ARD und Deutschlandradio vorbei, die diesmal auffallend stark am Menschen als an sich und der Welt Leidenden interessiert war. Die Zeit der (tonalen) Spielerei scheint vorbei, man greift zurück zum Wort und wirft ernst-„authentische“ Blicke auf Geschichte, Gesellschaft und Globales. Zwischen diesen Fronten reibt man gern „den Einzelnen“ oder „das Paar“ auf. Was nicht immer überzeugend gelingt. Vor allem dann nicht, wenn die innere Krise von einer Katastrophenkulisse aufgemotzt wird. Bei den jüngeren, im „szenischen Schreiben“ geübten Autoren wird gern der 11. September genommen. Die Älteren bemühen den Zweiten Weltkrieg. Aber wenn die Impressionen eines „kleinen 18-Minuten-Ficks am Morgen“ zwar effektvoll vor die brennenden Türme des WTC montiert werden („Blauer Himmel“, Radio Bremen), sonst aber nur Klischees von der Beziehungsfront kommen, was soll die Fingerübung?

Das „Lebensnahe“ kommt in Michael Essers „Apeiron“ (NDR, auf Platz drei gelandet) – einer schnellen Absturzgeschichte aus der New Economy – viel echter, überzeugender, sprachgenauer und spannender rüber. Kraftvoll auch „Heidi Hoh 3“ (NDR/DLR-Berlin, auf Platz zwei) von René Pollesch, der die kaputte Seele einer Angestellten nicht erzählt, sondern durch ihren Monolog nervenzerrend darstellt.

Überhaupt so ein Thema: Wie klingen Worte in Gedanken? Anders jedenfalls als abgelesenes Papier. Eine glänzende Variante ist das Siegerstück, Elfriede Jelineks „Jackie“. Grob gesagt, ein Sitten- und Gesellschafts-Porträt der Jacqueline Kennedy und ihrer Zeit, in dem die Autorin zur intimsten Hörspielform zurückkehrt: dem inneren Monolog.

Unter der präzise-zurückhaltenden Regie von Karl Bruckmaier entsteht dabei ein rhythmisches Sprachgebilde, das nach längerem Hören zur musikalischen Komposition wird. „Richtige“ Musik gibt’s ansonsten nur zum Einstieg, wenn Bob Dylans „Leopard-Skin Pill-Box Hat“ ausgespielt wird. Vor diesem Panorama quatschen verschiedene innere Jackiestimmen erst mal durcheinander, um sich endlich in zwei Klangperspektiven zu sortieren. „Es ist ein Wunder, dass ein Bild wie ich überhaupt sprechen kann“, lautet einer der ersten Sätze und es ist vor allem ein Wunder, wie sie spricht! Marion Breckwoldt gibt eine leicht schlampenhafte, jenseitige, gedopte Jackie. Sie klingt, als hätte sie die Pillen löffelweise geschluckt. Ihre verschwimmenden Ich-Versionen sind schwer zu greifen – doch als Album der (auch gesellschaftlichen) Abziehbilder werden sie gestochen scharf. Dass der BR mal wieder den Preis bekommt, ist schön: Immerhin wird hier seit Ende der Achtzigerjahre mit Leuten wie Bruckmaier und Ammer/FM Einheit (selbst zweimal Kriegsblindenpreisträger) das Hörspiel immer wieder neu gestylt. Für den Club, die Oper oder die S-Bahn. GABY HARTEL