Fleischeslust in Sodomas Werkstatt

Glamour und Tratsch gab es schon unter den Renaissance-Künstlern. Giorgio Vasari notierte die schillerndsten Anekdoten

Mein Kindler-Lexikon der Malerei, das noch aus den Achtzigerjahren stammt, will angeblich nichts davon wissen, wie der Maler Giovanni Antonio Bazzi aus Siena zu seinem Spitz- und Künstlernamen „Il Sodoma“ kam. Dabei gilt diesem Namen eine der schillerndsten Episoden, die Giorgio Vasari, der Urahn nicht nur der Kunstgeschichte Italiens, in dessen Vita erzählte. Den Spitznamen, den er sich eingehandelt hatte, weil er sich stets mit „Knaben und bartlosen jungen Männern umgab“, führte der einem prunkvollen Auftritt und fröhlich zur Schau getragenem Außenseitertum sehr zugeneigte Mann nämlich durchaus mit Stolz und provokativer Lust. Unter diesem Namen ließ er sich, zum Ärger einiger „rechtschaffener alter Leute“, in Florenz als Sieger bei einem Pferderennen ausrufen. Vasari erzählt diese Geschichte auch, um darauf hinzuweisen, mit welchen finanziellen Mitteln der in seinem Fleiß und in seiner künstlerischen Qualität etwas unzuverlässige Künstler dennoch über die Runden kam.

Nachlesen kann man diese Episode nicht nur in dem Buch „Sodoma und Beccafumi“, das im Wagenbach Verlag 2006 als 14. Band des groß angelegten Projektes erschien. Letzteres bringt die von Giorgio Vasari erzählten Viten der Maler und Bildhauer der italienischen Renaissance, neu übersetzt von Victoria Lorini, heraus. Nachlesen lässt sich das jetzt auch in dem kleinen neuen Band „Jeder nach seinem Kopf – Die verrücktes- ten Künstlergeschichten der Renaissance“, das wie ein populärer Trailer zu der noch nicht abgeschlossenen Reihe funktioniert.

Wie Michelangelo von einem neidischen Konkurrenten eins auf die Nase bekam, wie es Raffael gelang, seine Geliebte mit an den Arbeitsplatz zu nehmen, wie Leonarda da Vinci einen kleinlichen Abt loswurde – „wäre es nach seinem Willen gegangen, hätte Leonardo den Pinsel niemals stillhalten dürfen, so wie er es von denen verlangte, die den Klostergarten umzugraben hatten“ –, welche exotischen Menagerien sich Rosso Fiorentino und Sodoma hielten, all das und mehr erfährt man in diesen 25 kurzen Anekdoten in einer umstandslosen und pointierten Sprache. Unter der Hand liest man dabei aber auch viel von kirchlichen und kaiserlichen Auftraggebern, von Schülern und Assistenten, und erhält so ein Bild von den Produktionsbedingungen jener Kunstepoche, die dank Vasari noch heute zu den besterforschten und -dokumentierten gehört.

Ein angelsächsisches Diktum lautet nicht gerade motivierend: „All art history is making footnotes to Vasari.“ Vasari, 1511 in Arezzo in der Toskana geboren, war selbst Architekt, Kunstsammler und Berater der Medici. Generationen von Kunsthistorikern haben seine Quellen nicht nur als Ausgangspunkt weiterer Forschungen benutzt, sondern inzwischen auch seine Stellung als Propagandist der Kulturpolitik der Medici untersucht. Mit Vasari beginnt nicht nur die Quellenkunde, sondern auch die Quellenkritik. Nicht zuletzt knabbern andere europäische Regionen bis heute etwas sauer an dem Umstand, für ihre Künstler keine vergleichbar frühe und literarisch so ansprechende Quelle aufweisen zu können.

Das Lesen der Texte selbst geriet darüber ins Hintertreffen, und schon deshalb wurde die neue Herausgabe durch den Kunsthistoriker Alessandro Nova (mit anderen) sehr begrüßt. Die Lektüre kommt aber auch einer neuen Lust am Biografischen und Anekdotischen und dem wohl nie zu stillenden Hunger nach den Verrücktheiten von Künstlern sehr entgegen. Zumal der Sammelband „Jeder nach seinem Kopf“ die Gier nach Tratsch, Glamour, Luxus und Verschwendung befriedigt. Denn siehe da, auch schon zu Vasaris Zeiten gehörten diese zur Imagebildung auf dem Kunstmarkt.

Für den Schriftsteller Vasari zählten eben glücklicherweise auch andere Dinge als für den Kunstrichter Vasari, und gerade das macht das Vergnügen an seinen Texten aus: Dass sie auch von Überflüssigem und Nebensächlichem berichten und neben die bewunderte Leistung gern jene charakterlichen Schwächen stellen, die das Genialische auf das menschliche Maß zurückstutzen. KATRIN BETTINA MÜLLER

Giorgio Vasari: „Jeder nach seinem Kopf. Die verrücktesten Künstlergeschichten der italienischen Renaissance“. Wagenbach Verlag, Berlin 2008, 96 Seiten, 13,90 Euro