KIRSTEN FUCHS über KLEIDER
: Biedermann und die Grundschulen

Wenn nächstes Jahr Popel an der Nase eine gewisse Aufmüpfigkeit ausdrücken, dann gibt’s Popel zu kaufen

Wer was Besonderes sein will, darf nicht in Illustrierten nachschlagen, wie jemand aussieht, der was Besonderes ist. Einfache Logik, aber nicht in Köpfen, an denen folgendes Schild hängt: „Wegen Pubertät geschlossen!“

In einer Phase zwischen Gießkanne und Eierbecher, zwischen Fruchtmark und Feldweg, einfach zwischen allem, ist der Zwang, sich außen zu definieren, zwar genauso groß wie der Zwang, sich innen zu definieren, aber außen sieht’s halt scheiße aus. Von den Umbauarbeiten innen sind nur die verstopften Hautausgänge zu sehen, in denen Zweifel und Energie stecken.

Über die Kluft, die zwischen Erwachsenen und Teenies eine Kluft entstehen lässt, ist gut lachen, aber sah ich besser aus? Nein! Aber, das kann ich mir gerne einbilden, bis der Arzt kommt, ich sah individueller aus. Das lag aber nicht an mir, sondern daran, dass die Mode es mir damals leichter machte. Kaputt, dreckig, voll gemalt, zerrissen, schlecht gefärbt, abgeschnitten war immerhin noch selbst gefertigt und damit einzigartig. Klar kann das Teen sich selber einen Schlitz ins Kleid machen, aber das muss das Teen gar nicht. So ein ähnliches Lumpenkleid hängt in den Läden, wie viel Igel, die rufen: „Wir sind schon da.“ Das ist so was wie Passivkreativität.

Was eine Jeanette Biedermann als Bühnenauftritt trägt, hält auch in deutschen Grundschulen Einmarsch. Marsch, Marsch, Schuluniform! Alle kleinen Mädchen sind schon ganz verruchte kleine Mädchen. Dort wo ein Bengel mit Hormonschwengel drauf illern soll, ist einfach ein Loch im Oberteil und dann eine Sicherheitsnadel dran, zur Sicherheit, dass es wirklich zuhält und vor allem auffällt. Vom Glitzern der Zahnspangen lenken Schriftzüge ab, die Lehrer blind werden lassen und depressiv und ratlos. Pornostars in der vierten Klasse, was soll man da noch einen Schulabschluss anstreben? Die halbe Generation will offenbar Musikvideostatist werden. Ohne Kappe in den Erdkundeunterricht? Is nich! Die Jungs haben zusammengeknotete Wollstrumpfhosen auf dem Haar, oder sind das Schlüpfer oder Kopfverbände? Tut das weh? Die Mützen der Mädchen sehen ein bisschen aus wie von Opa Franz. Neuerdings sind riesige Truckerbasecaps auch nicht mehr peinlich. Ich frage mich nur, was dieses eingeschränkte Blickfeld für ein Weltbild zulässt? Scheuklappen von oben. Kackt die Taube nicht ins Gesicht. Echter Dreck ist nach wie vor nicht gefragt. Hosen sollen nicht schmutzig sein, sondern so aussehen. Was soll man stundenlang Skateboard fahren und auffe Fresse fallen, nur damit die Hose nach Street-credibility aussieht? Das ist Passivaktivität.

Den Hobbyvortäuschdreck schmieren Kinder in armen Ländern auf die Jeans. Dafür werden die immerhin schlecht bezahlt. Sie müssen vor Wut nicht mehr wissen, wohin mit sich. Sie nähen gute Hosen aus festem Stoff … und dann schmieren sie Dreck drauf und waschen die Jeans am Hosenboden aus. Schon sehen die neuen Jeans aus wie gebrauchte. Warum werden nicht gleich die gebrauchten Hosen der Nähsklaven verkauft? Dann können die armen Kinderchen die neuen Hosen haben. Nein, es müssen neue alte Hosen sein.

Ich weiß schon. Ich habe ja auch „No Logo“ von Naomi Klein gelesen: schon immer haben Wohlstandskinder versucht, wie arme Gettokids auszusehen. Das alles haben Modemacher auf Basketballplätzen abgekuckt und billig herstellen lassen, um es teuer zu verkaufen. So ist es in Amerika. Und Deutschlands Kinder spielen Amerika, weil’s ein schönes Spiel ist. In meiner Kindheit haben wir Indianer und Cowboy gespielt und heute heißt das Rapper und Polizei.

Und es gibt noch andere Spiele: Außenseiter und Cheerleader, Pop-Stars oder Pop den Nachbarjungen. Es geht um einen Identitätenmarkt und Passivindividualität. Wenn nächstes Jahr Popel an der Nase eine gewisse Aufmüpfigkeit ausdrücken, dann gibt’s Popel zu kaufen, und wehe dem, der seine eigenen Popel tragen muss. Der ist die Lachnummer und darf nicht mit vorm Zigarettenautomat rumhängen. So kommt’s, ich verwett’ meine Second-Hand-Levi’s dafür.

Fragen zu Passivindividualität? kolumne@taz.de Morgen: Robin Alexander über SCHICKSALE