DIE ACHSE DER MIX-CDS VON TOBIAS RAPP
: Der schönste Mix des Jahres

Es gibt im Pop Jahre der Umwälzung und Jahre der Verfeinerung. Langsam neigt sich 2008 seinem Ende zu, und schaut man auf die letzten zwölf Monate in der elektronischen Tanzmusik, kann man feststellen: Es war wohl Letzteres.

So klingt zumindest „Carry On – Pretend We Are Not In The Room“, die Mix-CD des Berliner Produzenten und DJs Efdemin alias Phillip Sollmann, ein matt schimmerndes Wunderwerk des deepen Minimal House. Hier ist nicht alles anders, aber fast alles besser als früher.

Sollmann ist einer der Mitbetreiber des Label-Kollektiv Dial Records und war mit seinen eigenen Platten einer der Ersten, der die herrschende Reduktionsästhetik des Minimal House mit Momenten von Deepness infizierte – Preachervocals, gefühlt warme Sounds. Auf seiner Mix-CD schlägt er nun den Bogen von Craig Alexanders knochentrockenem House-Stück „Soul Revival“ (das von dieser wunderbaren Stimme lebt, die erzählt „there’s a Soul Revival going on / you better get your ticket“) über Tobias Freunds Berliner Minimalskizze „Second To None“ bis zu Efemins eigenem „America“, das seinen ganz eigenen Inaugurationszauber über die ewige Wiederholung des Wortes „America“ entfaltet.

Besser wird es dieses Jahr nicht mehr. Minimalismus hat immer eine offene Grenze zur Langeweile, so wie Deepness eine zum Kitsch hat. In der richtigen Kombination aber ist dies die schönste Musik der Welt.

Efdemin: „Carry On – Pretend We Are Not In The Room“ (Curle)

Neues vom Plattenstreichler

In „Berlin Calling“, dem mit einigen Abstrichen schönen Film über das Berliner Nachtleben, sieht man Sascha Funke einmal ganz kurz. Es ist auf einer großen Party, die Hauptfigur DJ Ickarus, gespielt von Funkes Labelkumpanen Paul Kalkbrenner, wird gleich eine böse Pille nehmen. Kalkbrenner ist eine Rave-Sau, er trägt Fußballtrikots, schwitzt bei seinen Auftritten und reckt die Faust in die Luft. Ganz anders Sascha Funke: Er trägt seinen gepflegten Schnurrbart, hat eine Goldkette am rechten Handgelenk, lächelt glücklich und streichelt seine Platten ineinander.

Nun ist es nicht so, dass Funke keine Party rocken könnte, im Gegenteil, das macht der Berliner seit mehr als zehn Jahren. Aber die Mix-CD „Watergate 02“, lebt eben auch von der Pop-Sensibility, die Funke als DJ wie als Produzenten auszeichnet – von seiner selbstbewussten Freude an der schönen Oberfläche.

Am deutlichsten klingt das in „Mango“ durch, einem Stück von Funkes gleichnamigem Album, das er hier im Remix des Kölner Duos Tobias Thomas & Superpitcher einspielt, ein Meisterwerk des posteuphorischen Glücks-House. Von der Gesangslinie bis zu seinen dunkel schillernden Klangflächen ist dieser Track mit Pop infiziert.

Nach dem etwas unglücklichen Start mit der staubtrockenen Mix-CD von Onur Özer fasst die zweite Folge der Mix-CDs wunderbar den Klang dieser Saison zusammen: von Dave Ajus Neo-Disco bis zum minimalistischen Stolperfunk von DJ Koze.

Sascha Funke: „Watergate 02“ (Watergate Records)

Eine Mix-Kassette für Freunde

Andere Stadt, andere Schule, anderes Prinzip. The Rapture aus New York sind keine DJs, sondern eine Band, wenn sie sich in ihrem Sound auch deutlich von den verschiedenen Dancefloor-Genres ihrer Heimatstadt haben inspirieren lassen: Disco, House, Electro – all das findet sich in ihrer Musik wie auch auf ihrer Mix-CD „Tapes“.

Doch während man bei Efdemin wie bei Sascha Funke immer noch das Vinyl knistern hört, der Mix also an zwei Plattenspielern entstand, kann man davon ausgehen, dass The Rapture den ihren am Computer zusammengemischt haben. Und wenn Efdemin und Funke Momentaufnahmen aktueller Musiken liefern, schauen The Rapture vor allem in die musikalische Vergangenheit.

Das hat natürlich seine Richtigkeit: Was die elektronische Tanzmusik betrifft, hat New York seine besten Tage hinter sich, und es spricht auch überhaupt nicht gegen diesen wunderbaren Mix, der einen Discoklassiker wie Martin Circus’ „Disco Circus“ in ein Neodiscostück wie „Fantasy Lines“ von Arcade Lover übergehen lässt und verschiedene Electrostücke verbindet (besonders toll: „Township Funk“ des Südafrikaners DJ Mujave, ein Stück, das sich anhört, als sei es 1990 in Sheffield entstanden, wenn das nicht die Globalisierung ist!). Die Digitalisierung hat die Musikgeschichte eh in eine ewige Gegenwart eingetragen – solange man dazu tanzen kann, ist es gleich, wie alt die Wurzeln sind, von denen Richie Havens in „Going Back To My Roots“ singt, dem Rausschmeißerstück.

The Rapture: „Tapes“ (K7)