Merz ruft zum Sturm auf

Der CDU/CSU-Fraktionsvize und Erfinder des „Leitkultur“-Streits leistet sich wieder einen zweifelhaften Auftritt: Er rühmt die Rolle seines Großvaters, der in der Nazizeit Bürgermeister war

VON PATRIK SCHWARZ
UND MARTIN TEIGELER

Friedrich Merz spricht gern über seine Herkunft und Heimat. Schon als Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag wollte er sein Image vom etwas streberhaften Steuerfachmann korrigieren – mit einem Selbstporträt als jugendlicher Halbstarker: „Ich hatte schulterlange Haare, bin mit dem Motorrad durch die Stadt gerast.“ Nicht immer gehen Merz’ Reminiszenzen so harmlos ab. Jetzt, zum Fraktionsvize von Angela Merkel zurückgestuft, hat er vor Parteifreunden in seinem sauerländischen Heimatort Brilon dazu aufgerufen, das „rote Rathaus“ der Stadt „zu stürmen“. Zur Begründung verwies er auf seinen Großvater, der im Nationalsozialismus Bürgermeister des Ortes war.

Sein Großvater habe von 1917 bis 1937 als Bürgermeister amtiert. Ihn, Merz, erfülle daher „mit tiefem Grausen“, dass derzeit „ein roter Bürgermeister“ amtiere. In keiner Gemeinde des Hochsauerlandkreises engagiere er sich so gern persönlich, wenn es darum gehe, „ein rotes Rathaus zu stürmen“. Diese Äußerungen bestätigten gegenüber der taz übereinstimmend drei Teilnehmer der Veranstaltung, bei welcher der CDU-Bürgermeisterkandidat für die Kommunalwahl aufgestellt wurde.

In der Lokalpresse sorgten die Äußerungen vom Dienstag voriger Woche für eine Leserbriefkontroverse. Das Berliner Bundestagsbüro von Friedrich Merz, dem die Artikel vorlagen, hat gegenüber der taz die Aussagen nicht bestritten. Zur Anfrage der taz nach der Rolle des Großvaters im Dritten Reich wollte Merz nicht Stellung nehmen.

Unbestritten ist: Die Karriere von Merz’ Großvater Josef Paul Sauvigny war auch nach der NS-Machtergreifung und der Auflösung seiner Partei, des katholischen „Zentrums“, nicht vorbei. Während viele katholische Spitzenbeamte vom Dienst suspendiert wurden, durfte Sauvigny weiter Brilon regieren. Sein Ausscheiden 1937 war altersbedingt. Ob Sauvigny zwischen 1933 und 1937 NSDAP-Mitglied war, will die Briloner Stadtverwaltung nicht beantworten. „Niemand in dieser Verwaltung wird Ihnen das sagen“, wehrt der erste Beigeordnete Reinhard Sommer (CDU) gegenüber der taz ab.

Nach Forschungen von Briloner Lokalhistorikern waren die Nationalsozialisten durchaus zufrieden mit Sauvignys Amtsführung. In der Sauerländer Zeitung vom 2. Juli 1937 äußert sich der von den Nationalsozialisten eingesetzte Landrat Schramm anlässlich von Sauvignys Pensionierung: „Sein Amt verwaltete er stets im nationalsozialistischen Geiste.“ Sauvigny bedankte sich bei den lokalen NS-Größen. „Erst durch die Maßnahmen des Dritten Reiches habe die Arbeit wieder Freude gemacht“, gibt die Zeitung Sauvigny wieder.

Schon kurz nach der so genannten „Machtergreifung“ der Nazis hatte sich der Bürgermeister positiv über die neuen Herrscher geäußert. In der Sauerländer Zeitung wird am 3. Mai 1933 eine Lobeshymne Sauvignys auf Adolf Hitler abgedruckt: „Während bisher sich deutsche Kraft zerspalten und verbluten am ewigen Führerwechsel, ist es heute eine Kraft, die uns leitet, ein Führer, der uns ruft. (…) Das arbeitende deutsche Volk, sein ehrwürdiger Reichspräsident, die Verkörperung deutscher Treue, der Kanzler Hitler, sein tatgewordener Aufbauwille, sie leben hoch, hoch, hoch.“

Über das Lob des Enkels für den Opa 71 Jahre später berichtete nur eines der drei Lokalblätter nicht. „Ich habe dem nicht diese Schärfe beigemessen“, sagt Sauerlandkurier-Reporter Helmut Große-Vollmer zur Begründung: „Er hat das Ganze mit einem Lächeln gesagt.“