Elite ist geil

Weil es aus der depressiven Bildungsstreiterei herausführt, springt die Nation auf die neue Elite-Verheißung an. Obwohl sie von der SPD kommt

von CHRISTIAN FÜLLER

Harvard ist ein Begriff. Zwar weiß fast niemand, warum die amerikanische Top-Hochschule zur sagenumwobenen „Ivy League“ gehört, zur Liga der von Efeu umrankten Universitäten Neuenglands. Aber jeder weiß, wofür Harvard University steht. Sie ist die Mutter aller Elite-Hochschulen. Sie ist der Inbegriff von Spitze und Spaß, von Erfolg und Einkommen, kurz: von einer demokratischen Elite. Da, wo jeder hinwill.

Seitdem die SPD das Codewort Harvard in ihr neues Innovationspapier (siehe Seite 3) aufgenommen hat, fällt plötzlich ein warmes Licht von Geld und Erfolg auf eine Hochschullandschaft, die das ganz und gar nicht gewohnt ist: die deutsche.

Über die deutsche Uni wird fast nur schlecht geredet. Unreformierbar, alte Absolventen, viele Abbrecher, mediokres Leistungsniveau, faule Professoren – so lauten allenthalben die Vorwürfe. „Im Kern verrottet“, urteilte Dieter Simon über die Unis Anfang der 90er. Bis heute kann dem Präsidenten der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften keiner widersprechen.

Daher ist es kein Wunder, dass die Kombination von Harvard und SPD die Nation überrascht. Arbeiterbildungsverein sympathisiert mit Elite-Universität, das elektrisiert die missmutige Hochschuldebatte. Zuerst kam Gemäkel, aus den eigenen, den Reihen der SPD. Elite brauchen wir nicht, deklamierten die Jusos und die Dogmatiker.

Doch fast alle maßgeblichen Leute sind fasziniert. Vom Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Ernst-Ludwig Winnacker, über die Arbeitgeber bis hin zum Chef des Wissenschaftsrats, Karl Max Einhäupl, geht das große Aufatmen. Endlich! Aufmerksamkeit, Geld und Leuchttürme für die verlassene deutsche Hochschullandschaft.

Das Konzept der SPD von „internationalen Spitzenhochschulen“ ist noch sehr vage formuliert (siehe unten). Aber es könnte Schwung in die Debatte bringen. Ähnlich wie zuletzt bei den Milliarden für Ganztagsschulen greift der Bund mit dem in das nervtötende Gezänk zwischen SPD- und Unions-Regierungen ein, was den Landesfürsten am meisten fehlt – mit Geld. 100 Millionen Euro zusätzlich wären für Spitzenunis nötig, schätzt DFG-Präsident Winnacker. Um die Zusatzmittel könnten sich die besten Hochschulen in den Ländern bewerben. Zehn von ihnen sollen damit exzellente Fachbereiche in die Weltspitze bringen. Das ist die Idee.

„Der Bund darf keine eigene Hochschulen betreiben“, weiß Jürgen Zöllner, der Wissenschaftsminister aus Rheinland-Pfalz und Koordinator seiner SPD-Kollegen. Das verbietet die Verfassung. Aber Zöllner hat, sagt er der taz, überhaupt kein Problem damit, „wenn der Bund sehr gezielt dabei hilft, aus den ohnehin guten Hochschulen Leuchttürme zu bauen, die international Beachtung finden“.

Die Finanzen für die anderen rund 300 deutschen Hochschulen sollen dennoch nicht weniger werden. Für sie sind ohnehin die Länder zuständig. Die Finanzminister zwischen Kiel und Stuttgart könnten sich also nicht darauf herausreden, eigene Hochschulzuschüsse durch die aus Berlin zu ersetzen.

Der Widerspruch der demonstrierenden Studierenden gegen die neue Elite-Idee geht fehl. Was die Sozialdemokraten in Weimar als „Spitzenhochschulen“ definieren, richtet sich nicht gegen die Normalhochschulen, sondern entsteht aus ihnen. Gerhard Schröder und die Genossen haben kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch im Sinn. Sie wollen Top-Unis aufbauen – und zugleich den Anteil der Studenten eines Jahrgangs von derzeit rund 35 auf 40 Prozent erhöhen.

Die Konservativen höhnen derweil über die Ausflüge der SPD in Richtung akademischer Gipfel. Ausgerechnet die Partei der Gesamt(hoch)schulen und der „Gleichmacherei“, so die Kritik, entdecke nun den Elite-Begriff. Die SPD bestehe aus „Wendehälsen“, sagte Bayerns neuer Wissenschaftsminister Thomas Goppel (CSU), „die mit 35 Jahren Verspätung Einsicht heucheln“. Und Gerhard Schröder sei ein Heuchler, der erneut leere bildungspolitische Versprechungen mache.

In der Tat muss Rot-Grün erst beweisen, dass es aus den Worten des SPD-Präsidiums Taten macht. Aber zu behaupten, der Kanzler lasse erneut eine Eintagsfliege für die Medien schwirren, ist womöglich ein bisschen voreilig. Die Konservativen ärgert in Wahrheit, dass die Sozis dabei sind, ihren aus dem 19. Jahrhundert stammenden Begriff von Chancengleichheit neu zu definieren. Sie erweitert ihren engen Fokus aufs Arbeiterkind um den Elite-Uni-Absolventen.

Stichwortgeber ist der international anerkannte Soziologe Gösta Esping-Andersen. Weil sich Wissensgesellschaften „eine Erwerbsbevölkerung schlechterdings nicht leisten können, die zu 20 bis 30 Prozent aus funktionalen Analphabeten besteht“, fordert er – nach skandinavischem Vorbild – den massiven Ausbau der frühkindlichen Pädagogik. Die SPD stellt daher ab 2005 jährlich 1,5 Milliarden Euro für Kindergärten zur Verfügung. Familienministerin Renate Schmidt (SPD) versucht diese frühe Pädagogik unters Volk zu bringen.

Weil aber Schmidts endlosen Vorträgen über Hirnentwicklung Vierjähriger niemand zuhört, hat die SPD nun zu ihrer Breitenförderung in Kitas eine Spitzenförderung in den Unis hinzugenommen. Denn Kindergarten ist unsexy. Aber Elite ist geil.