Strahlende Oberfläche

Die Strichmännchen tragen immer noch Buchstaben durch die Gegend und wissen nicht, ob sie der Kunst oder der Werbung zuzuordnen sind: Nostalgisch-fröhliches Wiedersehen mit Keith Haring im Museum für Kunst und Gewerbe

von MARC PESCHKE

Im Rückblick erscheinen die späten siebziger und frühen achtziger Jahre als kreative Spitzenzeit einer Stadt, über die gesungen wird, dass sie niemals schlafe. Es war die Zeit verschrobener Brillenträger, New Yorker Intellektueller, die trotzdem Spaß verstanden – die Zeit von Andy Warhol, Woody Allen oder auch Keith Haring.

Doch nicht nur die dicke schwarze Brille verband die drei, auch die Art, durch diese Brille in die Welt zu schauen, ähnelte sich manchmal. Zwischen High Art und Low Art, zwischen Pop und Politics mäandert auch das Werk Harings. Jetzt zeigt das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe die Schau Keith Haring – Short Messages – Posters mit 85 Plakaten und 30 Entwürfen für Bücher und andere Objekte, die zwischen 1982 und Harings Tod 1990 entstanden sind.

Harings Engagement für die schwule Gemeinde New Yorks, für Umweltschutz, für die Kinder Südafrikas und die Armen der USA war unumstritten, als Künstler gilt er allerdings bis heute als Randfigur zwischen Kunst und Kommerz, zwischen Idee und Vermarktung. Alles fing 1980 in der U-Bahn an, auf schwarz überklebten, abgelaufenen Plakaten, die Haring mit weißer Schulkreide bemalte und die heute zu den besonderen Kostbarkeiten der Ausstellung zählen. So wurde die Subway zum idealen Ort von Harings Anliegen: jeden Menschen zu erreichen, der zwei Augen zum Sehen hat.

Doch spätestens als Haring 1986 – nach Entwürfen für Vivienne Westwood, Swatch, Lucky Strike und Absolut Vodka – seinen ersten „Pop Shop“ in New York eröffnete und dort T-Shirts, Kaffeetassen und Uhren mit seinen Strichmännchen verkaufte, galt der documenta VII-Teilnehmer als künstlerisch umstritten.

Haring war das ziemlich egal. Denn der Mann, der Walt Disney und George Schulz, Entenhausen und die Peanuts schon früh zu seinen Vorbildern erklärt hat, suchte nach einer universellen Bildsprache, die nicht nur in den Galerien verstanden wurde: „Ich bin sicher, dass meine Arbeit mit der Zeit als eine sehr klare, hoffentlich intelligente, politisch vernünftige, humanistische und phantasievolle Ausgestaltung der Rolle des modernen Künstlers verstanden wird.“

Das Wiedersehen mit der leuchtenden Bilderwelt Harings macht Spaß, mit den kleinen lustigen Hunden, den bösen, zuckenden Schlangen, den Tierchen mit zwei Rüsseln und drei Augen, den vier Strichmännchen, welche die Buchstaben H, E, L und P umhertragen. HipHop-Fans dürfen sich über ein altes Plakat freuen, dass Haring für die 86er My Adidas-Tour von Run DMC entworfen hat, und Kinder werden das bunte Plakat lieben, das zum Lesen anhalten soll. „Fill your head with fun! Start reading“, ist darauf zu lesen. Und es zeigt einen dicken Kinderkopf mit der ganzen bunten Haring-Welt im Innern.

Kurator Jürgen Döring hat eine schöne Auswahl aus den Leihgaben einer Privatsammlung getroffen, sie im schlauchartigen Ausstellungsraum chronologisch geordnet – doch was kann Haring eigentlich heute noch erzählen? Es sind immer wieder die gleichen Figuren und Symbole, die seine Plakate zieren, das X etwa als Zeichen negativer Energie. In den vergangenen Dekaden haben sich diese Bilder eingebrannt ins visuelle Gedächtnis, doch offenbar ist der Wunsch nach Kommunikation ihnen selbst zum Verhängnis geworden. Denn seine Bilder sind wie visuelle Plaudertaschen, die nicht aufhören zu quasseln. Die leuchtenden Primärfarben der Plakate, die Einfachheit der Linien vor dem einfarbigen Hintergrund springen den Betrachter an. „Meine Zeichnungen wollen eine Oberfläche aktivieren und Energie ausstrahlen“, sagte Haring einmal. Und wie Harings schnelles, kurzes Leben glänzen auch seine Kurznachrichten auf den Plakaten: kraftvoll strahlende, einfache Oberfläche.

Keith Haring – Short Messages: Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz; Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr; bis 4. 5.