Schluss mit dem Event-Overkill

Die Erlebnispädagogik verzichtet auf den nächsten Kick und sucht nach nicht konsumierbaren Erfahrungen, die Mensch und Umwelt wieder ins Lot bringen

„Dabei sein ist alles“, lautet die Devise der Eventkultur. Man surft digital um den Globus oder man jettet um die Welt, joggt, raftet und fährt Gletscher-Ski. Doch die innere Zufriedenheit scheint mit der ständigen Beschleunigung nicht Schritt zu halten.

Der Freiburger Waldorf-Pädagoge Michael Birnthaler hat deswegen ein ehrgeiziges Projekt formuliert: Er möchte den „Erlebnis-Overkill“ der Gegenwart überwinden. „Es darf nicht mehr um ständig neue Kicks gehen, sondern um das Erleben an sich.“

Den vorgefertigten Produkten der Unterhaltungs- und Eventindustrie setzt Birnthaler „nicht konsumierbare“ Erlebnisse entgegen. Damit hat Birnthaler in der Vergangenheit bereits praktische Erfahrungen gemacht. Er ist Mitbegründer des Freiburger Vereins EOS-Erlebnispädagogik e.V, der seit 2002 erlebnispädagogische Angebote für Kinder und Jugendliche organisiert. Die Quintessenz aus dem langjährigen Zusammenspiel von Theorie und Praxis des Erlebens hat Birnthaler nun unter dem Titel „Erlebnispädagogik“ in Buchform gebracht.

Schon in den Achtzigerjahren entdeckte man in vielen europäischen Ländern die die Erlebnispädagogik als Sozialisationsinstrument für schwierige Jugendliche. Man schickte Gruppen Pubertierender auf Segeltörns oder verordnet ihnen Klettertouren. Als Abenteuerpädagogik und Outdoor-Event bekannt geworden, werden erlebnisorientierte Gruppenevents in der freien Natur auch von EOS für verschiedene Zielgruppen angeboten.

Doch es gibt auch Unterschiede: „Während die Abenteuerpädagogik ihr Augenmerk auf das Erlebnis an und für sich richtet, sieht die Erlebenspädagogik den entscheidenden Wert im Erleben.“ Es geht also um die Schulung der Erlebnisfähigkeit, um Erlebnisreflexion, und damit auch um Nachhaltigkeit.

Die ursprüngliche Idee führt Birnthaler zurück auf die Reformpädagogik der Weimarer Republik. Das rigide Korsett kaiserzeitlicher Vorstellungen wurde nach dem Ende des Ersten Weltkrieges nach und nach gelockert. Manche gingen gleich ins Grüne: Als eigentlicher Begründer der deutschen Erlebnispädagogik gilt Kurt Hahn, in den Zwanzigerjahren Mitbegründer des Internats Schloss Salem.

Es gibt jedoch auch überraschende Parallelen in Rudolf Steiners zeitgenössischen Ideen zur Reform von schulischem Lernen. Erlebenspädagogik ist nicht zufällig ein ganzheitliches Konzept, das nachhaltig soziale und emotionale Kompetenzen stärken soll. Als ein erstes Einsatzfeld sieht Birnthaler die Waldorfschulen, doch das Konzept ist letztlich auf alle Schulformen übertragbar.

Viele Ansätze sind direkt vor der eigenen (Schul-)tür machbar, wenn etwa der Schulhof als unmittelbare Umgebung bewegungsfreundlich und naturnah gestaltet wird. Kinder und Jugendliche wachsen freilich irgendwann zu Arbeitgebern und Arbeitnehmern heran.

Die Arbeitswelt schafft ein völlig anderes Erlebnisumfeld, und dazu oft ein nicht sehr anregendes. In Großraumbüros wird unter Zeitdruck produziert, es fehlt die Bewegung, es gibt Stress im Team. Doch dank Erlebenspädagogik gibt es nicht nur viel zu tun, es gibt manchmal auch etwas zu erleben: Birnthaler und seine Mitstreiter von EOS beraten nämlich auch Manager und Belegschaften von Unternehmen der freien Wirtschaft.

MARIA BERANEK

Michael Birnthaler: „Erlebnispädagogik und Waldorfschulen“. Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2008, 200 Seiten, 19,90 €