Von wegen Provinz

Zu seinem 60. Jubiläum fordert der Landfrauenverband bessere Verkehrsanbindung, bessere Kinderbetreuung und bessere Männer, damit auch Frauen Karriere machen können

Von UTA GENSICHEN

Ginge es nach Brigitte Scherb, müssten sich nicht die Provinzfrauen den modernen Zeiten anpassen, sondern die Städter. Die Vorsitzende des Niedersächsischen Landfrauenverbandes (NLV) kritisierte am Montag, anlässlich des 60. Jubiläums des Vereins, die unterschiedlichen Lebensbedingungen in Stadt und Land.

„Die Städte brauchen das Land“, sagte Scherb. Schließlich sei Letzteres sowohl Standort für die Lebensmittelproduktion als auch Erholungsraum. Die Politik indes behandele die Regionen rund um die Ballungsräume stiefmütterlich.

Aus betriebswirtschaftlichen Gründen würden Bahnverbindungen gestrichen oder Internetleitungen nicht verlegt, sagte die Vereinsvorsitzende. „Die Lasten dieser mangelnden Infrastruktur werden wiederum auf den Rücken der Frauen ausgetragen.“ Diese litten besonders unter dem begrenzten Arbeitsangebot auf dem Lande.

Doch nicht nur fehlende, sondern mehr noch schlechter bezahlte Arbeit ist laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung ein Problem von Frauen aus dem ländlichen Raum. Diese würden rund 33 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen verdienen, besagt die Studie. In Städten hingegen betrage der Rückstand zwölf Prozent.

Sei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Landfrauen in der Praxis möglich, ist es mit der Karriere schon schwerer. Es fehle besonders an flächendeckenden Angeboten der Kinderbetreuung. „Hier sind nicht nur die Industriebetriebe gefragt, sondern auch der Mann ist gefordert“, sagte Scherb während der Jubiläumsveranstaltung. Väter sollten das so genannte Wickel-Volontariat nicht nur aus finanziellen Gründen absolvieren. „Sie müssen es aus Überzeugung tun“, so Scherb. Diese Einsicht müsse bereits in den Familien gedeihen und nicht zuletzt von den Müttern vorgelebt werden.

Um ein Umdenken von Frauen und Männern aus ländlichen Räumen anzustoßen, klärt der Mutterverband nicht nur über Defizite auf, sondern kümmert sich auch um die Weiterbildung. Die Landfrauen werden zum Beispiel in Führungsseminaren geschult oder über die Formen von Interessenvertretung informiert.

Dabei darf es ruhig mal ein bisschen radikal zugehen. Als nämlich im vergangenen Sommer die Bauern für höhere Milchpreise auf die Barrikaden gingen, blieben deren Gattinnen nicht untätig. So kauften Landfrauen aus Leer aus Protest Milchvorräte ganzer Supermärkte auf. Ganze drei Paletten H-Sahne gingen alleine an die Kreisvorsitzende Gertrud Cramer.

Bemerkenswert war auch die vor drei Jahren bekundete Nichtbeachtung des Weltlandfrauentags. Schließlich habe man 365 Tage im Jahr Landfrauentag, sagte damals eine Landfrau des Kreisverbands Celle.

Allein in Niedersachen engagieren sich 70.000 Mitglieder in dem Verband, in ganz Deutschland sind es über eine halbe Million Ehrenamtliche. Darunter seien jedoch nicht nur Bäuerinnen, sondern auch Verkäuferinnen, Pastorinnen, „einige Herren“ sowie Politikerinnen. Mit dabei ist auch die niedersächsischen Kultusministerin Elisabeth Heister-Neumann (CDU). Solch ein direkter Draht zur Politik kann hilfreich sein, offene Türen rennen die Landfrauen dennoch nicht ein.

„Wir wollen ein gleichberechtigtes Leben“, sagte Scherb. Und das habe schließlich Verfassungsrang.