Ober, zahlen!

Zwei Prototypen von Kellner gab es vor nicht allzu langer Zeit in Wien zu bestaunen: der devote „Bitt-schön“ und der genervte „Bittä?“. Heute hat sich ein neuer, pragmatischer Typ durchgesetzt. Über die sich wandelnde Dienstleistung im Kaffeehaus

von ALBERT HEFELE

Die Wiener Ober gibt es wegen Johannes Diodato. Dioadato war ein armenischer Einwanderer und erhielt 1685 von der königlich-kaiserlichen Kammer das Recht, „das türkische Getränk, das man Kaffee nennt, zuzubereiten“. Der erste Kaffeehausbesitzer von Wien. Er blieb nicht lange der Einzige, denn bald fanden sich zahlreiche Nachahmer. Es gab Zeitungen und Billardspiel, man spielte Schach und Karten, und irgendwann entstand der Ober. Wann das genau war und wann der erste Gast das erste Mal „Ober, zahlen!“ rief, ist nicht überliefert; mittlerweile ist der Wiener Ober jedenfalls eine Legende.

Film über Film wurde über ihn gedreht: Hans Moser, Paul Hörbiger, Hans Holt: „Ober, zahlen!“ Ein Code, so gern gebraucht wie „Wien bleibt Wien“. Ständig präsent und ständig im Dienst und auf jeden Fall immer und überall mit einer Fliege ausgestattet. Überhaupt: Ober scheinen als Ober auf die Welt gekommen zu sein. Als wäre ihnen das Tücherl schon bei der Geburt am Ärmchen angeheftet gewesen. Ebenso wie ihnen zur Adoleszenz die Fliege nahe dem Kehlkopf erblüht sein muss. Ober sind nie etwas anderes gewesen. Die Zeiten, in denen der Herr Ober eine gern und liebevoll ausgewalzte Standardrolle im Film war, sind schon lange vergangen, den Wiener Ober gibt es immer noch. Er trägt Fliege wie eh und je. Und: Er hat sich verändert.

Vor zirka zehn bis fünfzehn Jahren gab es in Wien zwei Exemplare von Obern, die einem, in leichten Variationen, immer wieder begegneten. Typ A: der devote Ober. Eine vom jahrelangen, professionellen Katzbuckeln permanent angebeugte Gestalt. Die Schultern – „Entschuldigen da Häa“ – zum vorauseilenden Kotau hochgezogen, das Tücherl in ständiger Fegebereitschaft. Wieselflink. Kaum da, schon wieder weg, kaum weg, schon wieder da: „Noch an Wunsch, die Häaschaftn?“

Typ A hat in der Grundschule immer ganz vorne gesessen und sich bereitwilligst für die zu verteilenden Kopfnüsse angeboten. Dabei gelangweilt beobachtet vom späteren Typ-B-Ober. Dem es gar nicht einfällt, sich dem Gast auf dem Bauch robbend zu nähern. Der B-Typ marschiert hoch aufgerichtet, manchmal gar schlampig mit den Armen schlenkernd, zielstrebig, aber nicht übereilt auf den Tisch des Gastes zu. Er fixiert den Gast mit kühlem, lieblosem Blick, wie eine eklige Wurmart, die er am liebsten mittels seines Tücherls nachhaltig vom Sitz fegen möchte. Diesen Impuls kann er mit sichtlicher Mühe unterdrücken. Aber eine Restaggression bleibt: Er benutzt sein Tücherl wie ein Dompteur seine Peitsche. Ein kurzes, kaltes Knallen, wenn er damit mehr zu Erziehungs- denn zu Reinigungszwecken über die Tischkante wischt: „Bittä?“ Ich hab meine Zeit nicht gestohlen, also bestellen sie gefälligst! Was man dann auch eilig tut, wer weiß, wozu ein solcher Mensch sonst fähig ist.

Zwei Prototypen, die es vor einiger Zeit in Wien zu bestaunen gab. Deren Zeit scheint vorbei zu sein. Er, der Zeitgeist, hat einen neuen Typus, nennen wir ihn ruhig Typ C, kreiert. Der C-Typ ist weder devot noch despotisch, er ist vor allem und in erster Linie pragmatisch. Darum hat der C-Ober auch keinerlei Probleme mit der Rolle, die er gegenüber dem Gast einzunehmen gedenkt. Er nimmt ihn, den Gast, nämlich überhaupt nicht wahr. Optisch schon, nicht aber als menschliches, vielschichtiges, blutdurchrauschtes Wesen. Der Gast ist im Prinzip nichts anderes als ein Hindernis, dem man aus dem Weg gehen muss, weil sonst das Tablett aus dem Gleichgewicht geraten könnte. Der neue Ober ist ein Mechaniker, der zusieht, dass die Maschine flutscht. Keinerlei emotionale Zuwendung. Der Ober vom neuen C-Typ versucht nicht mal zu schmunzeln. Wer lächelt schon einem Schmiernippel zu? Deswegen wendet der Ober vom C-Typ auch keinerlei Mühe auf, um dem Gast zu gefallen. Er nimmt Geräusche wahr, keine Bestellung entgegen. Man muss schnell sein. Kaum ist die letzte Silbe von „Einspänner“ gefallen, ist der Mechaniker nämlich schon wieder weg.

Nicht dass er den Gast nicht bedienen möchte, es gibt schließlich Geld dafür. Nur: Dieser Aufwand, wenn auf dem Tablett mehr als der Kaffee steht und das Glas Wasser … das ist ärgerlich. Man muss am Tisch stehen bleiben und das Tablett abstellen und die Sachen vor dem Gast verteilen. Das dauert. Die Tasse Kaffee dagegen kann ein geschickter C-Ober, ohne seine Schrittfrequenz wesentlich zu ändern, im Vorbeieilen ablegen, wie der Sämann, der den Kartoffelkeim beiläufig in die Furche stopft. Ein eigentlich viel zu poetisches Bild für einen Ober der neuen Sorte. So viel Poesie würde der neue Ober nicht mögen. Keine unnötigen Verzierungen. Wortwechsel oder Gespräche schon gar nicht. Würde man ihn irgendetwas fragen – beispielsweise warum es eigentlich keine Oberinnen gibt –, würde er vielleicht mit einem Anflug von Humor antworten: „Die g’höan bei uns ins Klosta.“ Oder, wahrscheinlicher, nur sehr kurz und völlig uninteressiert die Schulter zucken und das Tücherl richten. Und seinen Blick über die Tische schweifen lassen; und ungeduldig mit den schwarz schimmernden Schuhen knarzen.