Frieren vor dem Werktor

Seit acht Wochen besetzt die ehemalige Belegschaft die Prefil GmbH. Die Viskosefabrik ist pleite, die Spinnmaschinen sollen nach Indien verkauft werden. Länger protestierten nur noch die Stahlwerker in Gröditz und die Kali-Kumpel in Bischofferode

aus Premnitz TILMAN STEFFEN

„Wir verschwenden keinen Gedanken daran aufzugeben“, sagt Sabine Kindler, die Betriebsrätin. Seit Anfang Dezember wachen 120 Kollegen Tag und Nacht vor dem Werkstor der Pfefil GmbH in Premnitz. 8.000 Menschen wohnen hier, 218 von ihnen fanden einst Arbeit in der Viskosefabrik, die nun pleite ist. Die mehr als 100 Viskosespinnmaschinen sollen an einen indischen Interessenten verkauft werden. Das will die Belegschaft verhindern.

Holzfeuer lodern in alten Ölfässern, Zeltplanen schützen Menschen und einige Stühle notdürftig vor Regen und Schnee. Angegraute Gewerkschaftsfähnchen flattern im kalten Wind. Es gibt Kaffee in Isolierbechern, ein Speisenservice bringt Hackklops mit Kartoffeln und Soße.

Die Prefil GmbH stellte ihren Betrieb im Juli ein, weil sich eine Finanzbürgschaft des Landes verzögerte und die Betriebsgenehmigung für die maroden Werkshallen nicht verlängert worden war.

Auch Weihnachten und den Jahreswechsel verbrachten die Textilchemiewerker vor der Fabrik, in der kältesten Nacht maß das Thermometer minus 18 Grad. Länger als die Premnitzer hielten 2000 nur die Stahlwerker im sächsischen Gröditz durch oder die 700 Kumpel des thüringischen Kalischachtes Bischofferode, für die im Juli 1993 der Hungerstreik das letzte Mittel war.

Am Werkszaun neben dem Besetzercamp flattern Transparente. „Arbeit für alle, die arbeiten wollen“, fordert die Belegschaft darauf, „Gebt unseren Eltern die Arbeit wieder“ bitten Schüler des Alexander-von-Humboldt-Gymnasiums.

In den Sechzigerjahren gehörte das Werk zum volkseigenen Chemiefaserkombinat „Friedrich Engels“. Tausende Mitarbeiter produzierten im Schichtbetrieb Schwefelsäure und Kunstfasern, ein werkseigenes Kraftwerk sorgte für Strom und Dampf. Einen Teil der Anlagen übernahm im letzten April der Bremerhavener Unternehmer Wolfgang Riggers. Doch die teure Werksfeuerwehr oder die ablaufende Betriebsgenehmigung für die Werkshallen ließen ihn im Sommer kapitulieren. „Er hatte gut angefangen, aber die Zeit hat nicht ausgereicht“, sagt Mitarbeiterin Ilona Warney.

Die ehemaligen Beschäftigten munkeln, es gebe einen letzten potenziellen Investor. Es soll der Betreiber der benachbarten Märkischen Faser AG sein. Käme das Geschäft zu Stande, so die Hoffnung, könnten alle wieder arbeiten, der Ausverkauf nach Indien wäre abgewendet.

In seiner Düsseldorfer Anwaltskanzlei wartet Insolvenzverwalter Horst Piepenburg auf Post. Er habe Märkische-Faser-Geschäftsführer Eberhard Brack schriftlich um ein Angebot gebeten. Bisher vergeblich. Ist der indische Maschinenkäufer schneller, müsse er dessen Kaufvertrag unterschreiben. Und das bedeute „das Ende der Viskoseproduktion in Premnitz“, sagt Piepenburg.

Kürzlich stellte ein Lkw-Kran zwanzig Zentner Kohlebriketts vor das Besetzercamp. Klaus Mosebach und Norbert Paß aus Moers wollten zeigen, dass sie „solidarisch zu den Leuten hier stehen“. Sie sind Gewerkschaftsfunktionäre der IG Bergbau, Chemie, Energie. In den Neunzigerjahren organisierten sie Mahnwachen vor den Zechen am Rhein. Hilfe komme von überall her, sagt Sabine Kindler. Eine Frau wollte 2.000 Euro spenden, eine Premnitzer Rentnerin bringt regelmäßig Kaffee, andere helfen mit Mahlzeiten oder sprechen einfach Mut zu.

Wie Pfarrer Matthias Frohnert, der am ersten Weihnachtsfeiertag einen Gottesdienst vor dem Werkstor hielt. Für ihn ist der Viskosehersteller „ein Symbol, das erhalten werden muss“.

Aber er kennt die Geschichte der anderen Proteste: Die Gröditzer konnten ihr Stahlwerk retten. Die Kalikumpel von Bischofferode hatten 1993 nach sechs Monaten aufgeben müssen.