Elektronische Aufrüstung

Planspiele: Die USA rüsten sich für die totale Abschreckung im Cyberwar. Das freut die IT-Branche. Die Umsätze mit den Militärs werden in den nächsten Jahren auch in Europa mächtig anwachsen

von ULRICH HOTTELET

Zusammenstoßende Züge, Stromausfälle, explodierende Gasleitungen, manipulierte Aktienbörsen, lahm gelegte Satelliten: Das Schreckensszenario eines Angriffs auf die elektronische Infrastruktur macht vor kaum einer Einrichtung des modernen Lebens Halt. Über die technische Realisierbarkeit streiten die Experten zwar, aber viele Staaten, allen voran die USA, rüsten ihre Kapazitäten für den Cyberwar massiv auf. Mehrere Milliarden Dollar müssten Staat und Wirtschaft in den nächsten Jahren investieren, um für die elektronische Kriegführung gewappnet zu sein, fordern Militärs und Geheimdienstler in Washington.

Seit 1998 wurde eine Vielzahl von Initiativen und Kommissionen gegründet, um Schwachstellen in Computern und Netzwerken von Regierungsstellen und maßgeblichen Unternehmen der USA aufzudecken und ein Konzept zu ihrer Bekämpfung zu erarbeiten. Seit dem Amtswechsel im Weißen Haus drängt die Regierung verstärkt darauf, ein elektronisches Pearl Harbor zu verhindern. Der Technologie-Geheimdienst NSA (National Security Agency) warnt in schöner Regelmäßigkeit vor Cyberterrorismus, um, wie Kritiker vermuten, neue Aufgaben an sich zu ziehen und so höhere Budgets zu erschließen. Plastisch machte es James Adams, Mitglied im Beratungsstab der NSA und des Pentagons, in einem Interview mit dem Handelsblatt: „Jeder weiß, wenn er heute einen Nuklearschlag gegen die USA unternähme, würde er völlig zerstört. Diese totale Abschreckung brauchen wir auch im virtuellen Raum.“

Aber nicht nur Staaten, sondern auch Terroristen sind im Visier. Richard Clarke, der Vorsitzende des dem Präsidenten unterstehenden Critical Infrastructure Protection Board, wies darauf hin, dass Ussama Bin Laden Anschläge auf die wirtschaftliche Infrastruktur der USA angekündigt habe. Insbesondere die zunehmende Nutzung schlecht gesicherter Wireless-Technologien sei eine Gefahrenquelle.

Doch nicht nur die USA, auch Russland, China, Frankreich, Israel, Indien und Pakistan bauen ihre Infowar-Fähigkeiten aus. Der Umsatz für „integrierte Systemarchitektur im militärischen Bereich“ wird nach Schätzung der Unternehmensberatung Frost & Sullivan allein in Europa von über 7 Milliarden Dollar 2002 auf 9,5 Milliarden im Jahr 2008 steigen. Dabei werde der europäische Markt zu einem der offensten Märkte. Impulse gehen von technischen Neuerungen und vor allem vom „Doktrinwandel“ aus, heißt es.

Gegenseitige Hackerangriffe auf Netzwerke gab es bereits im Nahen Osten zwischen Israelis und Palästinensern und zwischen Amerikanern und Chinesen nach dem Absturz eines US-Spionageflugzeugs vor der chinesischen Küste. Handelte es sich dabei meist um harmlose Web-Graffiti, so zeigte der Krieg im Kosovo, was die Cyberwaffen schon heute vermögen: Den Amerikanern gelang es, serbische Radarabwehrsysteme so zu manipulieren, dass sie nicht existierende Ziele erfassten und damit wirkungslos wurden.

Die Bundesregierung will die kritischen Netze von Staat und Wirtschaft insbesondere durch den Einsatz so genannter Computer Emergency Response Teams (Certs) schützen. Bundesinnenministerium, Polizei und Deutsche Telekom führten vergangenes Jahr ein Planspiel durch, bei dem der Cracker-Angriff einer mafiosen Gruppe simuliert wurde, der die Bundesregierung zwingen sollte, die Bundeswehr aus dem Kosovo zurückzuziehen.

Ulrich.Hottelet@t-online.de