Einkaufsexzess in Schwerin

Schwerin genehmigt sich ein viertes Einkaufscenter. Zum ästhetischen Wert des Neubaus in der Altstadt möchte sich der Investor nicht äußern, doch für Alternativen fehlen der Stadt die Mittel

VON PETRA SCHELLEN

Schwerin schrumpft. Von einst 150.000 auf inzwischen 80.000 ist die Einwohnerzahl bereits zurückgegangen; Plattenbauten aus den 70ern und 80ern werden en masse abgerissen. Trotzdem haben die Stadtverordneten von Schwerin am Dienstag mit großer Mehrheit beschlossen, ein viertes, 15.000 Quadratmeter großes Einkaufszentrum der Tenkhoff Properties in der Innenstadt zu genehmigen: die „Marienplatz-Galerie“. Sieben Geschosse soll sie hoch sein und mitten in der großteils aus dem 19. Jahrhundert stammenden Altstadt stehen.

Pikant außerdem: Gleich gegenüber existiert bereits ein ECE-Einkaufszentrum. Außerdem gibt es, quasi in Sichtweite, das Schlosspark-Center sowie eine weitere moderne Einkaufspassage. Für die Marienplatz-Galerie sollen zudem vier Wohn- und Geschäftshäuser sowie ein Speicher aus dem 19. Jahrhundert abgerissen werden.

Diese Pläne sind seit sechs Monaten öffentlich. Protest formierte sich allerdings erst in letzter Sekunde: Seit genau zehn Tagen existiert eine Altstadt-Bürgerinitiative, die – hervorgegangen aus einer gescheiterten Initiative für den Erhalt jenes Speichers – auf die mangelnde Wirtschaftlichkeit des Centers hinweist. „Wir haben jetzt schon 60 Prozent Leerstand bei den kleinen Innenstadt-Läden sowie mehrere nicht ausgelastete Einkaufscenter in Schwerin. Wir brauchen kein weiteres“, sagt Frank Fiedler, der zehn Protestler sowie ein geschätztes Umfeld von weiteren hundert Personen repräsentiert. Die Initiative versammelt Grundstücksbesitzer, Gewerbetreibende und Architekten, die teils die Entwertung ihrer Grundstücke durch das neue Center fürchten.

Ihr Alternativkonzept sieht einen Mix aus Läden, sanierten Baudenkmälern und energiesparenden Passivhäusern vor. „Die Rendite wäre der des 90-Millionen-Projekts am Marienplatz vergleichbar“, sagt Fiedler. Worauf er aber eigentlich zielt: eine andere Klientel. „Die Marienplatz-Galerie erzeugt billigen Shopping-Tourismus. Unser Konzept – das auch hochwertige moderne Architektur böte – wäre dagegen für finanzkräftige Kulturtouristen interessant“, sagt er.

Eine Idee, die auch die Schweriner SPD-Abgeordnete Manuela Schwesig, die für das neue Center stimmte, im Prinzip befürwortet. „Natürlich wäre es am schönsten, alles so herzurichten, wie es damals war. Aber das kann die hoch verschuldete Stadt nicht finanzieren“, sagt sie. Das zentrale Areal am Marienplatz sei „ein Schandfleck. In den extrem sanierungsbedürftigen Häusern laufen die Ratten herum. Und seit 18 Jahren schaffen wir es nicht, das Gelände zu entwickeln.“ Da war man über den Investor froh und hat zugegriffen.

Der indes räumt ein, dass er für eine kleinteilige Bebauung, die die alten Gebäude einbezieht, „nicht zur Verfügung gestanden hätte“, wie Geschäftsführer Joachim Tenkhoff betont. Was die Kaufkraft betrifft, gibt er sich selbstbewusst: „Schwerin hat nach Potsdam die größte Kaufkraft der neuen Bundesländer.“ Und ja, die Marienplatz-Galerie werde ein „recht kompaktes Gebäude“, über dessen Ästhetik er sich nicht äußern mag. Auch SPD-Frau Schwesig bleibt hier verhalten. „Man muss realistisch sein“, sagt sie. Und nennenswerte Proteste aus der Bevölkerung habe es ja nicht gegeben. „Die Altstadt-Initiative ist erst zwei Tage vor der Abstimmung über den Bebauungsplan auf uns zugekommen. Ich hatte von den Bürgern mehr erwartet.“