Unbeugsam und unerschrocken

Die deutsch-argentinische Menschenrechtlerin Ellen Marx war eine unerschrockene und eine unbeugsame Frau. „Solange ich noch am Leben bin, werde ich für Wahrheit und Gerechtigkeit kämpfen“, lautete ihr Wahlspruch, und daran hielt sie sich zeitlebens. In der Nacht zum Freitag ist die in Berlin geborene Jüdin im Alter von 87 Jahren in Buenos Aires gestorben, wie Freunde und Weggefährten mitteilten.

Ellen Marx hatte sich in Argentinien und in Deutschland einen Namen gemacht, seit sie sich für die Aufklärung von Diktaturverbrechen während der argentinischen Militärherrschaft (1976–1983) engagierte. Die Militärs hatten ihre Tochter entführt, die bis heute verschwunden geblieben ist.

1939 flieht Ellen Marx vor den Nazis aus ihrer Geburtsstadt Berlin. Sie stammt aus einer deutsch-jüdischen Familie, die sie selbst dem Bildungsbürgertum zurechnete und für die Politik ein Gräuel war. Mit einem französischen Frachter kommt sie nach Argentinien und lebt in der Hauptstadt Buenos Aires. Hier findet sie eine Stelle als Kindermädchen. Sie heiratet einen ebenfalls emigrierten deutschstämmigen Juden. Viele Jahre arbeitet sie an einer deutschsprachigen Schule, später in einem jüdischen Kinderheim in Buenos Aires. Von den Nazis ausgebürgert, lässt sich Marx in der 50ern in der Bundesrepublik wieder einbürgern. Sie versteht sich als in Argentinien lebende Deutsche.

Am 21. August 1978 wird ihre damals 28-jährige Tochter Gertrudis Leonor Marx von argentinischen Militärs verschleppt und gilt seitdem als verschwunden. Zum zweiten Mal verliert Ellen Marx Angehörige durch die Untaten einer Diktatur. Mutter, Großvater, Onkel und Großtanten wurden von Nazis ermordet.

Im Juni 1998 erstattet Ellen Marx zusammen mit anderen deutschjüdischen Diktaturopfern Strafanzeige gegen argentinische Militärs bei der Staatsanwaltschaft am Landgericht Nürnberg-Fürth. Dabei gehe es um „Wahrheit und Gerechtigkeit, den Grundlagen menschlichen Zusammenlebens“, sagte sie damals im Namen einer „Gruppe der deutschen Mütter“ in Argentinien. „Es ist unsere persönliche Mission, nicht zu schweigen und die Erfahrungen an die nächsten Generationen weiterzugeben.“ Unter den rund 30.000 Opfern der Diktatur sind rund 100 Deutsche oder Deutschstämmige.

Seit einigen Jahren lebte Marx in einem jüdischen Seniorenheim in San Miguel, einem Vorort von Buenos Aires. Eine Anklageerhebung gegen die für das Verschwinden ihrer Tochter verantwortlichen argentinischen Militärs durfte sie nicht mehr erleben. Das Landgericht Nürnberg-Fürth erklärte sich für nicht zuständig.

JÜRGEN VOGT