Mit dem Rotstift der Geschichte

Von Ensslin-Schwestern und Hysterikerinnen: Brigitte Waldach hat aus Text- und Bildbezügen Vorstellungsräume entworfen

VON HENRIKE THOMSEN

Eine Ausstellung mit dem Titel „Drei Farben – Rot“ kommt an Brigitte Waldach nicht vorbei. Dass die Berliner Künstlerin gleich eine ihrer stärksten Arbeiten für die diesjährige Ausgabe des Festivals „Rohkunstbau“ in der Potsdamer Villa Kellermann schaffen würde, war aber nicht abzusehen.

Noch ist die Baselitz-Schülerin mit ihren prägnanten monochromen Zeichnungen, die sich zu geheimnisvollen Rauminstallationen weiten und um Frauengestalten kreisen, ein Geheimtipp. Das dürfte sich bald ändern, denn ihr Berliner Galerist Johann Nowak von der Neuen Aktionsgalerie und die renommierte dänische Galerie Bo Bjerggaard in Kopenhagen haben ihr den Weg in den internationalen Kunstmarkt bereitet.

Im Obergeschoss der Villa Kellermann betritt man eine Art Farbvibrationsraum: Die hintere Ecke und die Wände sind eng mit Schriftzeilen bedeckt, die Waldach in verschiedenen Rottönen aufgebracht hat, sodass sie vor den weißen Wänden zu flirren scheinen. Begriffe wie „Solidarität“, „Schwester“, „Vernunft“ und „Hungerkünstler“ treten in besonders intensiver Gouache hervor. Unter der Decke lassen Lautsprecher die Stimme der Künstlerin hören, die aus den verwendeten Texten liest – es handelt sich um Briefe aus der Haft von Gudrun Ensslin an ihre Schwester Christiane.

RAF-Sterne leuchten auf dem Boden und an der Ecke, zwei Frauen schreiten durch einen mit Achsen angedeuteten virtuellen Raum. Die eine im hellen Mantel konfrontiert den Besucher mit ernstem Blick, die andere verschwindet mit einer Binde über den Augen in der Ecke. Je länger man die Installationen auf sich wirken lässt, desto dichter werden die Verweise auf Gudrun Ensslins Situation in der Isolationshaft, ihre Bücherwünsche (u.a. Kafka, von dem die Geschichte „Der Hungerkünstler“ stammt, und Wittgenstein) und die Besuche Christianes in Stammheim.

Doch verengt sich nichts auf den zeitgeschichtlich-dokumentarischen Rahmen, den man so gut zu kennen glaubt. Die Interpretation der Figuren verschiebt sich vielmehr allmählich in den eigenen Kopf, durchtränkt und schüttelt die dort abgespeicherten Ensslin-Bilder und erlaubt einen assoziativen Zugang.

„Ich möchte nur so viel andeuten, dass sich eigene Impulse einstellen. Es wäre für mich ein Horror, zu viel vorzugeben und die eigenen Vorstellungsräume plattzumachen“, sagt Brigitte Waldach. Dass sie sich entschloss, das mit Klischees und Mythen nur so übersäte RAF-Feld zu betreten, hatte mit der Aufgabenstellung von „Drei Farben – Rot“ zu tun. Dahinter verbirgt sich nämlich das Thema Brüderlichkeit in Anlehnung an die Parole der Französischen Revolution. Die Künstlerin hatte aber keine Lust, die Idee des (männlichen) Kurators zu illustrieren. Sie fragte sich stattdessen nach Schwesterlichkeit im Zeichen von Politik und stieß in Christiane und Gudrun Ensslin nicht nur auf ein starkes Symbolpaar, sondern auch auf indirekte eigene Bezüge. „Margarete von Trottas Film ‚Die bleierne Zeit‘ war sehr wichtig für mich. Er hat mein politisches Denken stärker geprägt als meine Kindheitserinnerung an die Medienberichte im Herbst 1977“, erzählt die 1966 geborene Künstlerin. Im Literaturstudium, das sie zusätzlich zu ihrer Ausbildung an der Universität der Künste bei dem Gruppe-47-Mitglied und Ingeborg-Bachmann-Spezialisten Reinhart Baumgart absolvierte, gehörten Kafka und Wittgenstein zu ihren Vorzugsautoren.

Die vielfältigen Bilder, mit denen Literatur, Philosophie, Film und bildende Künste Ereignisse und persönliche Vorstellungen überformen, sind ein weiteres zentrales Thema für Waldach. Mit der Schauspielerin Fritzi Haberlandt realisierte sie den Zyklus „Trailer“ nach Studien über die Hysterie aus dem späten 19. Jahrhundert. Dafür zeichnete sie zunächst die damals als typisch hysterisch geltenden Posen und Gesichtsausdrücke. Dann nahm Haberlandt die Posen ein und wurde von Waldach abermals festgehalten – teils in großformatigen Zeichnungen, in denen Verweise auf Hitchcocks „Die Vögel“ oder David Lynchs „Inland Empire“ die Suspense-Stimmung erhöhen. Teils in Filmsequenzen, in denen die rot gewandete Schauspielerin durch einen leeren Dachboden streift. Was Betrachtern wie eine Fingerübung zu den gängigen Ausdrücken in Psychothrillern und Horrorfilmen erscheint, ist in Wahrheit also die vielfache Intensivierung und Variation von Spannungs- und Erregungsposen, die mehr als ein Jahrhundert zurückreichen. In der Ausstellung „Neue Heimat“ in der Berlinischen Galerie zeigte Waldach im Frühjahr den Zyklus unterlegt mit Passagen aus Ingeborg Bachmanns Roman „Malina“.

Aus „Trailer“ soll demnächst ein kompletter Film mit Fritzi Haberlandt werden. Zuvor aber muss Brigitte Waldach zwei Ausstellungen in Los Angeles und Mumbai bestreiten. Wichtiger als die Gruppenschau in der indischen Bodhi-Galerie ist dabei die Einzelschau bei M+B in West-Hollywood. Die bisher auf Fotografen wie Massimo Vitali spezialisierte Galerie eröffnet mit der Waldach-Schau eine neue Grafik-Linie. Der Mann, dessen Zeichnungen sie auf Platz zwei in der Vernissage-Liste verwiesen hat, ist kein Geringerer als David Lynch.

„Rohkunstbau“ in der Villa Kellermann, in Potsdam, bis 5. Oktober