Sprechen statt schlagen

NAMEN UND ALTER: Karin Klinghammer (69) und Bernd Zimmermann (49) TAT: Trainer im „Projekt Alternativen zur Gewalt“ (PAG) in der JVA Uelzen, das in Kooperation mit Strafgefangenen und Ehrenamtlichen Wege zur Konfliktlösung ohne Sieger und Besiegte aufzeigt. KONTAKT: www.pag.de Der taz Panter Preis für besonderes soziales und politisches Engagement ist ein Projekt der taz Panter Stiftung. Er ist mit zweimal 5.000 Euro dotiert und wird 2008 zum vierten Mal verliehen. Einen der beiden Preise vergeben Sie, die Leserinnen und Leser der taz. Ab dem 19. Juli können Sie Ihre Nummer eins wählen. Die Preisverleihung findet am 13. September im Haus der Kulturen der Welt in Berlin statt. Das nächste Helden-Porträt finden Sie am kommenden Samstag in der taz. Weitere Informationen: www.taz.de/panter

Karin Klinghammer und Bernd Zimmermann trainieren mit Strafgefangenen Alternativen zur Gewalt. Die Panter-Kandidaten (4)

Sein Zimmer ist nicht groß – Bett, Kleiderschrank, Schreibtisch, Fernsehtischchen und zwei kleine Holzregale finden hier gerade so Platz. An einem hängen vielfarbige Glückwunschplakate: „Bernd, du bist ein Top-Trainer“, „super authentisch und dynamisch“ – „Ich hoffe, dass du weiter für uns da bist.“

Bernd Zimmermann ist Teamleiter und Trainer im „Programm Alternativen zur Gewalt“ (PAG), einem Konflikttraining für Strafgefangene – und selbst Insasse der Justizvollzugsanstalt im grün-beschaulichen Uelzen. Vor über zwölf Jahren wurde Zimmermann zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Anstiftung zum Mord. Eine Tat, über die er sagt: „Ich bin unschuldig.“ Er hat noch zweieinhalb Jahre abzusitzen, und das weiß er auch. Er ist kein Illusionist, er hadert nicht mit seiner Vergangenheit.

Bernd Zimmermann ist Pragmatiker. Er lebt im Hier und Jetzt. Seit einem halben Jahr ist er Freigänger, arbeitet in einer Schlosserei, wohnt in einem rot geklinkerten Häuschen vor der JVA, das wie eine Jugendherberge aussieht. Er zahlt Miete, verpflegt sich selbst, fährt zweimal im Monat mit der 650er-Honda zu seiner Familie nach Gommern bei Magdeburg. Dort leben seine Frau und die drei Kinder, seit 22 Jahren ist er verheiratet – glücklich, trotz der Haft.

Die muskulösen Arme entspannt in den Schoß gelegt, spricht er über das, was ihm jetzt wichtig ist, und das ist PAG: „Dieses Projekt hat meiner Zeit im Knast einen Sinn gegeben. Ich habe eine Aufgabe, in die ich mich reinknien kann, aus der ich Zufriedenheit schöpfe, ja, die mich ausfüllt.“ Vor zehn Jahren hat er erstmals Kontakt zu PAG bekommen. Dieses Projekt habe ihm andere Wege zu sich selbst aufgezeigt.

In einem Kurs von Trainerin Karin Klinghammer lernte er, wofür PAG steht: für Menschenwürde, gewaltfreie Konfliktlösung, Selbstachtung und die Freiheit, sich verändern zu können, ohne von anderen verändert zu werden. 1975 im New Yorker Vollzugssystem ins Leben gerufen, hat das Projekt sich zum Ziel gesetzt, Gefängnisinsassen eine alternative Form der Konfliktlösung aufzuzeigen. Seit 1993 auch in Deutschland.

Vor allem im Norden operieren mittlerweile gut 30 aktive Trainer wie Zimmermann und Klinghammer – also sowohl Gefängnisinsassen als auch „Leute von draußen“. In drei gestaffelten Kursen arbeiten drei bis fünf von ihnen mit rund 10–15 freiwilligen Teilnehmern in Rollenspielen und Diskussionsrunden an dem Selbstwertgefühl der Gefangenen. „Es ist ein erfahrungsorientiertes Programm im doppelten Sinne“, sagt die ehemalige Krankenschwester Karin Klinghammer, die seit 15 Jahren für PAG einsteht. Es geht darum, eigene Erfahrungen einzubringen, neue zu erfahren, um die „verändernde Kraft“, die laut Klinghammer jeder in sich trägt, zu aktivieren. Für die 69-jährige Mutter und Großmutter ist es wichtig, in jedem den „Willen zu spüren, im anderen den Menschen zu sehen und nicht das, was er getan hat. Ich gehe nicht mit dem Vorsatz dahin, die Leute umzukrempeln. Ich will ihnen Handwerkszeug anbieten, ihren eigenen Weg auf eine neue Weise zu finden.“ Wenn sie über diese spirituelle Seite des Projekts spricht, zeichnet ihr Gesicht ein weiches Lächeln, durch die randlose Brille fällt ihr enorm wacher Blick. Karin Klinghammer liebt ihre Aufgabe. Die PAG-Trainer sind „eine große Familie“, sagt sie begeistert.

PAG ist kein klassisches Anti-Aggressions-Training, es geht hier nicht um Selbstverteidigung, sondern um Achtung und Respekt – vor sich und anderen. Das betont Klinghammer immer wieder. Überkonfessionell und frei jeglicher Bildungs- oder Berufsbarrieren öffnet sich PAG jedem, den es interessiert. Der seine Feindseligkeit und Zerstörungskraft konstruktiv in Kooperation und Gemeinschaft verwandeln will.

Und die Erfolge sind erstaunlich: Karin Klinghammer berichtet von einem ehemaligen Insassen, der nach seiner Entlassung unbedingt eine Woche länger im Gefängnis bleiben wollte, nur um den Trainerkurs noch mitmachen zu können. Bernd Zimmermann erzählt die Geschichte eines überaus gewaltbereiten Gefangenen. Zwei Monate nach dem Grundkurs kam dieser zum Aufbaukurs und sagte, er würde Großteile der Konflikte nun durch Fragen und Gespräche lösen und wolle nun weiter wachsen. Und auch der Sucht- und Drogenberater des Uelzener Gefängnisses, Hermann Kalinowski, zeigt sich begeistert: „PAG ist nicht nur für Uelzen, sondern für den gesamten Justizvollzug ein riesiger Gewinn.“ Wenn Bernd Zimmermann 2011 aus dem Gefängnis entlassen wird, so wird er zurückgehen in seine Heimat und den „weißen Fleck“ Sachsen-Anhalt mit dem „Projekt Alternativen zur Gewalt“ beackern. So viel Zukunftsvision darf dann doch sein.

DANIEL MÜLLER