Israels Monster, Libanons Held

In Israel gilt er als Monster, im Libanon als Held. Nach fast 30-jähriger Haft soll Samir Kuntar entlassen werden und in seine Heimat zurückkehren dürfen. Er und vier andere libanesische Häftlinge sind der Preis, den Israel für zwei im Sommer 2006 von den schiitischen Extremisten der Hisbollah entführte Soldaten zahlen muss.

In der Nacht zum 23. April 1979 kommandierte Kuntar eine Terrorgruppe, die mit ihrem Schlauchboot vor der Küste der nordisraelischen Stadt Naharia anlegte, zehn Kilometer von der libanesischen Grenze entfernt. Zwei der Angreifer wurden während der Operation erschossen. Ein dritter kam im Rahmen eines Gefangenenaustauschs 1985 auf freien Fuß, während Kuntar als Einziger seine Haftstrafe von insgesamt 542 Jahren weiter absaß.

Die Gruppe gehörte zur Palästinensischen Befreiungsfront (PLF), der sich Kuntar als 17-Jähriger angeschlossen hatte, obwohl er selbst Druse war. Die propalästinensische Bewegung wollte mit der „Nasser Operation“ in Naharia gegen das israelisch-ägyptische Friedensabkommen protestieren. Chef der PLF war Abu Abbas, der sechs Jahre später an der Entführung der „Achille Lauro“ beteiligt gewesen war und schon damals jedoch ohne Erfolg die Entlassung Kuntars forderte.

Der sich abzeichnende Gefangenenaustausch mit der Hisbollah weckt in Smadar Haran grauenvolle Erinnerungen an ihre Begegnung mit Kuntar vor knapp 30 Jahren. Die Polizei war den Terroristen auf der Spur, als diese in das Mehrfamilienhaus eindrangen, in dem die Harans wohnten. Mit ihrer zweijährigen Tochter und den Nachbarn versteckte sich Smadar im Schlafzimmer. Aus Angst, von dem Terrorkommando entdeckt zu werden, hielt sie dem Kind den Mund zu und erstickte es. Auf der Flucht vor der Polizei zwang Kuntar den Ehemann Smadars und die vierjährige Tochter aus dem Haus und führte sie mit vorgehaltenem Gewehr zum Meer. Am Strand erschoss er den Vater vor den Augen des Mädchens und zerschmetterte dann den Kopf der Kleinen mit seinem Gewehrkolben. „Ich werde die Freude und den Hass in ihren Stimmen nie vergessen, als sie kamen, um uns zu jagen, und Granaten warfen“, erinnert sich Smadar an die schreckliche Nacht.

Jahrelang galt Kuntar als Faustpfand für Informationen über den 1986 abgestürzten israelischen Piloten Ron Arad. Offenbar glauben die israelischen Sicherheitsdienste nicht mehr daran, Verwendung für Kuntar zu haben. Umgekehrt drohte Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah mit neuen Soldatenentführungen, um libanesische Häftlinge freizupressen. Mit der Entlassung Kuntars könnte dieses Kapital beendet sein.

SUSANNE KNAUL