Bitte verhaften!

Wie ein Politikstudent verzweifelt versuchte, sich inhaftieren zu lassen, und die Polizei nicht mitspielen wollte. Ein Lehrstück aus Bremen über die Tücken politischer Totalverweigerung, die auf das System angewiesen ist, das sie bekämpft

VON CHRISTIAN JAKOB

Für Kompromisse hat Jannes von Bestenbostel noch weniger übrig als für Atomkraftwerke. Als der 24-jährige Politikstudent aus Bremen wegen einer Schienenblockade eine Strafe bezahlen sollte, provozierte er die Behörden so lange, bis diese ihn vergangene Woche endlich in Haft nahmen. Wegen 25 Euro.

Im Frühjahr 2005 hatten von Bestenbostel und 30 weitere AtomkraftgegnerInnen in Bremen einen Castor-Transport blockiert. Wochen später erhielt er deshalb einen Bußgeldbescheid in Höhe von 25 Euro. Doch für von Bestenbostel war klar: „Gezahlt wird nicht. Kein Cent.“ Die Blockade sei „absolut legitim“ gewesen: „Ein Schuldeingeständnis, das gibt’s von mir nicht.“ Der Politikstudent legte Widerspruch gegen den Bescheid ein, scheiterte damit jedoch vor dem Hamburger Amtsgericht.

Am 4. März diesen Jahres sollte von Bestenbostel eine dreitägige Erzwingungshaft in der Justizvollzugsanstalt Bremen-Oslebshausen antreten. Für ihn war das vor allem eine Gelegenheit, auf Konfrontationskurs zu gehen. Also versammelte er sich an jenem Nachmittag mit rund 20 UnterstützerInnen der „Bremer Initiative zur Bekämpfung des Atomstaats“ (BIBA) zu einer Kundgebung vor dem Gefängnis. Sie wollten eine öffentliche Verhaftung von Bestenbostels provozieren, um „den Konflikt offensiv zu führen und unsere Inhalte in die Gesellschaft zu tragen“, so eine Erklärung der BIBA.

Doch es nutzte nichts. Der Atomstaat mochte seine Krallen nicht zeigen. Von Bestenbostel und seine Freunde demonstrierten eine Weile vor dem Gefängnis herum, hinzu gerufene Polizisten bemängelten lediglich die Lautstärke des Lautsprecherwagens. Von Bestenbostel konnte unbehelligt wieder nach Hause gehen. Und auf einen Haftbefehl warten.

An einem Montag Ende April hätte es soweit sein können. Von Bestenbostel saß in seiner Küche im Bremer Ostertorviertel und sah einen Polizeiwagen vor seinem Haus halten. Doch seine Freundin schickte die Polizisten weg – mit seinem Einverständnis. „Ich wollte nicht, dass die das entscheiden, wann und wie ich in den Knast gehe“, erklärt von Bestenbostel.

Er meldete unter dem Motto „Für mehr renitentes Aufbegehren, gegen Obrigkeit“ für den folgenden Samstag eine Demonstration in der Bremer Fußgängerzone an. Auf dem Anmeldeformular wies er das Stadtamt darauf hin, dass gegen den Anmelder, also ihn, ein aktueller Haftbefehl vorliege. „Damit die sich drauf einstellen können.“

Das Stadtamt informierte die Polizei. Doch die vermochte sich nicht in von Bestenbostels Motivlage hineinzuversetzen: „Die haben in meiner Wohnung angerufen und gesagt, dass sie mich dort verhaften werden, wenn wir darauf bestehen, die Demo zu machen.“ Er bestand darauf.

Am Mittag des 3. Mai schließlich sammelten sich rund 30 Atomkraftgegner in der Bremer Fußgängerzone. Von dort wollten sie zu einer Polizeiwache demonstrieren – und erwarteten hierzu wie üblich eine Polizeieskorte. Doch sie blieben allein: Wegen des „Christivals“ und eines Bundesligaspiels konnte die Polizei keine Beamten für die kleine Gruppe abstellen. Von Bestenbostel mochte das nicht hinnehmen, er griff zum Telefon und teilte der Polizei mit, dass er als Versammlungsleiter „die Situation nicht mehr unter Kontrolle habe“.

Nach einiger Zeit erschienen einige Beamte. Sie wollten ihn zuerst nicht verhaften, es gab lange Diskussionen. Den Polizisten gefiel es nicht, jemanden mitzunehmen, der offenbar genau das wollte. Besonders wenig gefiel ihnen, dass von Bestenbostel, als sie ihn dann doch endlich mitnehmen wollten, sich weigerte mitzukommen. Sie mussten ihn, wie es sich für einen Atomkraftgegner gehört, wegtragen. „Wir haben das gemacht, um unsere Kritik gegen die Atomkraft in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen“, sagt von Bestenbostel.

In der JVA Bremen-Oslebshausen brachte man ihn in der U-Haft unter statt im Geldstrafentrakt, wo er eigentlich hingehört hätte. Bei den dortigen Gefangenen, denen schwere Straftaten vorgeworfen wurden, genoss er einen besonderen Status: „Mit Politischen hatten die noch nie was zu tun. Dass man freiwillig in den Knast geht, haben die nicht verstanden.“

Konnte er es ihnen erklären? „Nein.“ Eine einziger habe gesagt: „Hut ab.“ Andere vermuteten, er habe nur die Zahlungsfrist versäumt oder hielten seine Aktion für „peinlich“. Die Zustände im Gefängnis seien äußerst deprimierend gewesen. „Am schlimmsten war es zu sehen, wie die Haft die Leute psychisch völlig fertig gemacht hat.“

Was einen besonders prinzipienfesten Umgang mit dem Staat angeht, ist von Bestenbotel ein Wiederholungstäter. Bereits 2003 verbrachte er fast zwei Monate in einer Arrestzelle der Trukft-Roland-Kaserne in Brandenburg. Am Tag seiner Einberufung war von Bestenbostel mit einem Anti-Kriegs-Transparent auf das Kasernengelände marschiert. „Den ersten Befehl, der kommt, werde ich verweigern“, teilte er den Militärs mit.

Schon seine Aufforderung zur Musterung hatte er ignoriert. Polizisten hatten den Schüler einige Monate zuvor während einer Kunstklausur aus seinem Klassenzimmer geholt und zum Kreiswehrersatzamt gebracht. Dieses musterte nach Augenschein und entschied: „T2“, geeignet als Panzergrenadier.

Den Kriegsdienst einfach zu verweigern, kam für von Bestenbostel nicht in Frage, weil „Zivildienstleistende im Kriegsfall kriegswichtige Aufgaben übernehmen“ müssten. Und das wollte er nicht. Nach über 50 Tagen Arrest entschied ein Truppendienstgericht der Bundeswehr, dass der damals 20-Jährige „nicht weiter erziehbar sei“ und ordnete seine Haftentlassung an.