Leerstand und Luxus

Würstchen raus, Kinder rein: Die Umnutzung alter Industriebrachen ist eines der Themen der „Berlin New York Dialogues“ zur Standortentwicklung beider Städte im Deutschen Architekturzentrum

VON FRIEDERIKE MEYER

Sich mit New York zu vergleichen, ist noch immer attraktiv für Berlin. Im Deutschen Architekturzentrum (DAZ) wurde am Wochenende eine Ausstellung eröffnet, die das beliebte Konkurrieren um innovative Potenziale auf der Ebene der Stadtentwicklung durchspielt: „Berlin – New York Dialogues“. Zu sehen war die Ausstellung bereits im November in New York, als Teil eines von der Carnegie Hall organisierten Festival „Berlin in Lights“. Denn längst ist die deutsche Hauptstadt dort als preiswert und aufregend bekannt und erinnert viele damit an das New York der Siebzigerjahre.

Faktisch betrachtet könnten beide Städte unterschiedlicher nicht sein. New York hat 8,2 Millionen Einwohner und kann sich vor Zuwanderung und steigenden Immobilienpreisen kaum retten. Berlin hingegen kämpft mit stagnierenden 3,4 Millionen um die Bewältigung seines Leerstands und mit einem denkbar niedrigen Bruttosozialprodukt. Dennoch: Hier wie da warten riesige Brachflächen eines zu Ende gegangenen Industriezeitalters, hier wie da suchen Kommunen, Entwickler und Kreative ständig nach neuen Bestimmungen und nähren mit ihren Projekten den Ruf beider Städte als pulsierende Kulturmetropolen.

Um die Veränderungsprozesse greifbar zu machen, haben die Kuratoren vom New Yorker Center for Architecture und vom DAZ je drei Gebiete ausgewählt, die sich extrem schnell gewandelt haben oder gerade erst in Bewegung kommen: Hunts Point & Mott Haven in der südlichen Bronx, Chelsea in Manhattan und Red Hook, ein Hafenareal in Brooklyn, stehen für die New Yorker Entwicklung. Auf einer riesigen Luftaufnahme markiert und mit den wunderbaren Fotos von Noah Sheldon charakterisiert ,setzen sie den Rahmen der Ausstellung.

Kleinteiliger geht es auf den sechs langen Wänden dazwischen zu. In die Bereiche Kultur als Katalysator, Gemeinschaftsaktivitäten, Gentrifizierung und politische Interventionen unterteilt, werden allerlei Projekte aufgezählt. Da gibt es zum Beispiel die Bronx Charter School for the Arts, die die Ausbildung von Kindern in der ökonomisch vernachlässigten Gegend durch den Umgang mit Kunst verbessern will. Der New Yorker Pädagoge Xanthe Jory hatte sich Ende der Neunziger mit Erziehern, Anwohnern und Eltern zusammengetan, um ein Ausbildungsprogramm zu erarbeiten und private Spenden einzuwerben, denn bis vor drei Jahren erhielten freie Schulen in New York keine städtische Förderung für den Bau ihrer Einrichtungen. Mithilfe eines Bauunternehmers und der Architekten Weisz + Yoes gelang es, eine Baugenehmigung für das Gelände einer ehemaligen Würstchenfabrik zu erwirken und einen zweckmäßigen, preiswerten Neubau zu errichten.

In einem anderen Entwicklungsstadium befindet sich das heute als Galerienviertel bekannte Chelsea in Manhattan. Eine nicht mehr genutzte Hochbahntrasse wird hier derzeit zu einem 2,5 Kilometer langen Park umgebaut. Dies führt zum Anstieg der Immobilienpreise und zu einem Bauboom von Luxusapartments entlang der Trasse. Der Bauherr Greg O’Connell hingegen, der in Brooklyns Ufergegend Red Hook rund 25 Anwesen besitzt, bleibt resistent gegenüber der Luxuskategorie. Sein Aushängeschild ist ein ehemaliges Speichergebäude am Hafen, das er zur Heimstatt von Handwerkerbetrieben, Künstlern und lokalen Organisationen entwickelt hat. Vor zwei Jahren zog dort ein Fairway Supermarkt ein, dessen 300 Angestellte fast alle in der Nachbarschaft wohnen.

Den New Yorker Erfolgsgeschichten gegenüber stehen bekannte Berliner Beispiele: Das Badeschiff, die Strandbars und die zum Kulturzentrum umgebaute Pumpstation Radialsystem, welche als kulturelle Katalysatoren das Spreeufer für Investoren attraktiv machen. Die private Phorms School in der Ackerstraße, die zum Edelclub umgebaute Poststation oder das architektonisch anspruchsvolle Boardinghaus Slender Bender charakterisieren Mitte als attraktives Stadtviertel.

Alles gut zu wissen. Doch was hätte man aus den mehr als hundert Neubauten, Grünanlagen, wieder belebten Wohngebieten und kulturellen Initiativen nicht alles schlussfolgern können. Braucht es in den USA für Wohnungen und Schulen immer Mäzene? Ist Berlin-Mitte nicht längst jenes homogen-luxuriöse Wohnquartier, welches O’Connell in Red Hook verhindern konnte? Werden die vom Senat geförderten Baugruppen für eine gemischte Bewohnerstruktur sorgen können? Die dokumentarische Aneinanderreihung der Projekte auf beiden Seiten wirkt wie das Ergebnis einer fleißigen Momentaufnahme, die man, ergänzt um Analysen und Erlebnisberichte, vielleicht besser in einem Buch veröffentlicht hätte.

Dabei wären sicher auch Antworten auf die Frage gekommen, was diese Entwicklungstendenzen nun für die Stadtplanung bedeuten. Eine davon gibt die New Yorker Architektin Claire Weisz: „Bei uns sind die Bewohnergruppen extrem gut organisiert, weil sie eigenverantwortlich in die Wege leiten wollen, worum sich die Stadt nicht kümmert. Das macht es für uns Planer nicht einfach, neue Ideen umzusetzen.“ Berlin hingegen, so meint sie, sei vergleichsweise verwöhnt mit öffentlichem Geld und Unterstützung. Initiativen gründeten sich daher eher, um vermeintlich störende Investitionen zu verhindern.

Beobachtungen wie diese hätten in eine Ausstellung gehört, die das Wort Dialog im Titel trägt. Doch auf die Frage, was beide Städte voneinander lernen können, fanden selbst die Redner der angeschlossenen Tagung in der Akademie der Künste kaum Antworten. Stattdessen hielten sie architektonische Werkvorträge oder lasen theoretische Abhandlungen zur Lesbarkeit von Symbolen vor.

Im DAZ, Köpenicker Straße 48/49, Di.–Fr. 12–19 Uhr, Sa. + So. 14–19 Uhr. Eintritt frei. Bis 4. Mai