Mehr Geld und mehr Kontrolle der Funktionäre

Auf der Münchner Ver.di-Demonstration der ErzieherInnen werden auch kritische Töne gegenüber den eigenen Verhandlungsführern laut

MÜNCHEN taz ■ Zur Melodie von „Bruder Jakob“ ertönt die Forderung: Acht Prozent, acht Prozent … Der Nachmittag ist trüb, aber angenehm warm. Bunte Luftballons werden verteilt, und die Stimmung ist durchaus gut. Die Demonstration der ErzieherInnen hat rund 3.000 Menschen auf die Beine gebracht, überwiegend Frauen jeden Alters. Acht Prozent mehr Lohn ist die Forderung der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di für die Angestellten im öffentlichen Dienst, die hier demonstrieren.

Hier, im Münchner Osten sollen die kommunalen Arbeitgeber vor der kommenden vierten Verhandlungsrunde aufgerüttelt werden. Fünf Prozent mehr Gehalt bieten die, bei eineinhalb Stunden mehr wöchentlicher Arbeitszeit. „Trotz festem Job Existenzminimum – so geht’s nicht“, „Habe Arbeit. Brauche Geld“ ist auf den Plakaten zu lesen oder „Erzieherinnen und Jugendpflegerinnen gibt’s nicht mehr zum Schnäppchenpreis“. Begeisterung über so viele Gleichgesinnte ist zu spüren, viele haben aber auch wenig Demo-Erfahrung, daran ändern die übergestülpten Ver.di-Warnstreik-Plastiktüten nichts.

Eine Gruppe von Hortbetreuerinnen aus dem Münchner Stadtteil Obergiesing erklärt ihre Sorgen: 1.960 Euro brutto bekomme eine voll ausgebildete Berufseinsteigerin in München, übrig blieben dabei etwa 1.300 Euro. Wenig Geld für eine teure Stadt. Aber vor allem mit den vielen verschiedenen Aufgaben wollen sich die Giesingerinnen nicht anfreunden. Wer im Hort arbeite, müsse Word beherrschen und Excel, müsse das Qualitätsmanagementbuch durcharbeiten und den bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan erfüllen. „Und wenn Zeit bleibt, sollen wir ja auch noch die Kinder betreuen“, meint die Leiterin der Giesinger Gruppe. 60 Jahre ist sie alt, aber ihren Namen will sie lieber nicht in der Zeitung lesen. Dabei sind die Eltern ihrem Bericht zufolge mit der „richtigen“ Arbeit mit den Kindern zufrieden, berichtet sie. Sprachförderung, Kochkurse, Musikangebote, Sportprojekte und medienpädagogische Projekte würden sie anbieten. Mit dem Warnstreik heute seien die Eltern, die selbst eine Betreuung für den Tag organisiert hätten, übrigens solidarisch.

Unter einem kleinen Zelt werden fleißig Ver.di-Mitgliedsanträge ausgefüllt. Einer der Betreuer – angetan mit „wehr.di“-Button – raucht in gelangweilter Funktionärsmanier eine Fluppe, der Ordner mit den Neuanträgen ist trotzdem gut gefüllt. „Sicher 80 Anträge sind das.“ Auch Frau Schmid – „nennen Sie mich so“ – hat unterzeichnet, die Stimmung heute hat sie überzeugt. Mit ihrem Antrag seien jetzt alle Mitarbeiter ihrer Kita in Bogenhausen Ver.di-Mitglieder. „Ich habe mir das schon oft überlegt, aber es ist viel Geld.“ Ein Prozent vom Bruttogehalt muss sie an die Gewerkschaft zahlen, „und mir bleiben als Alleinerziehende ohne das Kindergeld für meinen 13-jährigen Sohn derzeit sowieso nicht mehr als 900 Euro.“

Doch es ist nicht nur ein Ver.di-Triumph an diesem Tag. Plakate sind zu lesen mit der Forderung nach „Kontrolle der Verhandlungsführer“. Reinhard Roth ist einer der Kritiker. 27 Jahre ist er alt, und seit drei Jahren ist der Erzieher bei der Stadt München als Springer eingesetzt. „Viele sind enttäuscht von der Gewerkschaft“, meint der junge Mann, der mit Luftballon, Fahne und Kapuzenpulli angetreten ist. „Den Tarifvertrag, um den es geht, haben die Ver.di-Funktionäre einst unterschrieben!“ Und auch jetzt hätte die Basis eigentlich 15 Prozent mehr Gehalt gefordert und nicht nur acht. „Die sind doch viel zu weit von der Basis weg.“ Seine Konsequenz war vor einiger Zeit: Der Übertritt von Ver.di zur Lehrergewerkschaft GEW.

MAX HÄGLER