Beispiel Kosovo

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

Der neue Ministaat Kosovo bringt die Großen auf der Weltbühne ziemlich in Verlegenheit. Während US-Präsident Bush bei einem Besuch in Tansania erklärte: „Die Kosovaren sind nun unabhängig“, beantragten Russland und China für Montagabend eine weitere Sitzung des Weltsicherheitsrats. Sie wollten erreichen, dass der Schritt von der Weltgemeinschaft verurteilt wird. Der Vorstoß gilt als chancenlos, da Großbritannien und Frankreich, die ebenfalls dem Sicherheitsrat angehören, Kosovos Unabhängigkeit unterstützen.

Auch Deutschland wird das Kosovo als unabhängigen Staat anerkennen. Das teilte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in Brüssel mit. „Die Mehrzahl der Mitgliedsstaaten wird ein rechtsstaatliches, demokratisches und multiethnisches Kosovo anerkennen. Auch Deutschland wird diesen Schritt tun“, sagte Steinmeier. Das Bundeskabinett werde am kommenden Mittwoch einen entsprechenden Beschluss fassen, sagte der Außenminister.

192-mal setzte Kosovos Regierungschef Hashim Thaçi am Sonntagabend seine Unterschrift unter einen Brief, in dem er jedes Land einzeln bittet, den neuen Staat anzuerkennen. Unfreundliche Reaktionen erntete er nicht nur aus Belgrad (siehe unten).

Dass sich andere Unabhängigkeitsbewegungen am Kosovo ein Beispiel nehmen könnten, zeigte sich bereits gestern. Der abchasische Präsident Sergei Bagapsch kündigte die Loslösung von Georgien an. Der Präsident Südossetiens erklärte, man werde es ebenso machen wie Abchasien. Tschetschenische Rebellen begrüßten auf ihrer Internetseite die Entwicklung.

Die baskische Regionalregierung, die für die Unabhängigkeit von Madrid kämpft, nannte die Unabhängigkeitserklärung am Sonntag eine „beispielhafte Lösung“ für „Identitäts- und Zugehörigkeitskonflikte“. Der spanische Außenminister erklärte daraufhin gestern beim Treffen mit seinen EU-Kollegen, Spanien werde das Kosovo nicht anerkennen. „Der Schritt ist völkerrechtswidrig“, sagte Miguel Moratinos. „Wir waren gegen den US-Einmarsch in den Irak, und wir sind gegen einseitige Unabhängigkeitserklärungen.“ Die slowenische Ratspräsidentschaft hatte zuvor in Prishtina die Verschiebung der Unabhängigkeitserklärung bis nach den spanischen Wahlen am 9. März zu erreichen versucht.

Auch andere EU-Staaten mit Minderheitenkonflikten wie Zypern, Rumänien, die Slowakei, Griechenland und Bulgarien wollen den neuen Staat nicht anerkennen. Das bringt die EU-Außenminister in ein Dilemma, weil die EU schon bald eine rechtsstaatliche Unterstützungsmission aus Polizisten, Juristen, Zöllnern und Staatsanwälten ins Kosovo schicken will. Sie soll die internationale Mission Unmik ablösen. Nach langen Debatten einigten sich alle 27 Mitgliedsstaaten schließlich auf eine spanische Kompromissformulierung. Sie „nimmt zur Kenntnis, dass die Mitgliedsstaaten in Übereinstimmung mit nationalen Praktiken und dem internationalen Recht über ihre Beziehungen zum Kosovo entscheiden werden“. Das Kosovo stelle „angesichts des Konflikts, der ethnischen Säuberungen und der humanitären Katastrophe in den 90er-Jahren“ einen einzigartigen Fall dar, „der keine Präzedenzen schafft“.

Das Europaparlament ist in der Kosovofrage ähnlich gespalten wie die Mitgliedsstaaten. Während die Linksfraktion gestern die „Risiken der Destabilisierung“ in der Region herausstellte und davor warnte, die „Büchse der Pandora“ zu öffnen, begrüßten die Liberalen, Grünen, Sozialdemokraten und Konservativen den Schritt.