Verrückt, aber effektiv

Moses Schneider, 42, hat von den Ohrbooten bis PeterLicht deutschen Künstlern zu ihrem Klang verholfen. Heute sollte der Produzent dafür mit einem „Echo“ ausgezeichnet werden

Tocotronic, „Kapitulation“ (2007): Die zweite Platte von Tocotronic, bei der Schneider Regie führte, ist das beste deutsche Album des vergangenen Jahres, auch weil die Hamburger Schrammelband endlich das Grooven lernt.

Kante, „Die Tiere sind unruhig“ (2006): Aus der Postrockband Kante wird, Schneider sei Dank, endlich eine Rockband. Auch hier darf man erleichtert feststellen, dass Diskurspop tanzbar sein kann.

Olli Schulz & der Hund Marie: „Warten auf den Bumerang“ (2006): Aus dem Liedermacher und Geschichtenerzähler Olli Schulz wird ein Popmusiker. Ein guter dazu noch.

Ohrbooten, „Spieltrieb“ (2005): Schneider ist genau der Richtige, den ganz speziellen berlinerischen Balkanfolkreggae des Quartetts einzufangen, das sich noch heute an manchem Wochenende ein Zubrot mit Straßenmusik verdient.

Beatsteaks: „Smack Smash“ (2004): Das Album, mit dem der Punk mal wieder gerettet und Schneider als „Sechster Beatsteak“ berühmt wird. Deutlich zu hören, weil live eingespielt: Die Band neigt dazu, schneller zu werden während eines Songs. TO

VON THOMAS WINKLER

Moses Schneider weiß, was Rockbands wünschen. „Der Kühlschrank ist voll!“, verkündet er breit grinsend. Und tatsächlich: Im weißen Ungetüm in der Ecke der Fabriketage wartet eine Batterie Flaschbier. Die Musiker wollen schließlich bei Laune gehalten werden. Und die erste Pflicht eines Musikproduzenten wie Schneider ist es, für kreative Stimmung zu sorgen.

Doch es sind nicht die Qualitäten von Moses Schneider als Getränkelieferant, die für seinen mittlerweile legendären Ruf in der deutschen Musiklandschaft gesorgt haben. Der 42-Jährige ist verantwortlich für einige der erfolgreichsten Schallplatten der vergangenen Jahre. Seine Arbeit wird immer von der Kritik geschätzt und oft auch vom Publikum.

Unter seiner Regie stürmten die Beatsteaks, eine zuvor allgemein als eher durchschnittlich eingestufte Berliner Punkband, an die Spitze der deutschen Charts. Auf Platten von Seeed, Fehlfarben, PeterLicht, Ohrbooten, Jens Friebe und Mediengruppe Telekommander findet sich sein Name. Auch die letzten beiden, sehr überzeugenden Alben von Tocotronic hat er produziert, und Peter Thiessen, der Schneider für die letzte vorzügliche Platte seiner Band Kante engagierte, hat seinen kürzlich geborenen Sohn auf den Namen Oscar Moses taufen lassen. Und nun beginnt auch das Musik-Establishment die Künste des Produzenten zu würdigen: Für den deutschen Musikpreis Echo, der heute in Berlin feierlich verliehen wird, ist Schneider gleich zwei Mal nominiert: Für seine Arbeit an „Kapitulation“ von Tocotronic und „Limbo Messiah“ von den Beatsteaks.

Vor allem Rockbands sind es, die es nach Berlin ins Transporterraum-Studio zieht, das Schneider zusammen mit seinem Partner Ben Lauber betreibt. Dort mischt er die Stücke ab, die er zuvor am liebsten im ChezCherie-Studio aufgenommen hat, einer weitgehend gewöhnlichen Kreuzberger Fabriketage, die von einem Künstlerpärchen bewohnt wird. Neben der familiären Atmosphäre schätzt Schneider vor allem die Betondecke, die die Höhen verteilt „wie ein Springbrunnen“ und so für einen harmonischen Gesamtsound sorgt.

Unter dieser Decke gruppiert Schneider an einem trüben Frühwintertag Kettcar. Die Hamburger Band nimmt vier Songs ihres neuen Albums, das im kommenden April erscheinen soll, mit dem Produzenten auf. Dessen Arbeit in den ersten Stunden besteht darin, zusammen mit dem Sound-Engineer die verschiedenen Mikrofone im Raum zu platzieren, Instrumente und Verstärker zu verkabeln. Einzelne dieser Klang-Settings tragen Namen wie „Wurst1“ oder „Ghettoblaster“. Ein Mikrofon liegt am Boden direkt hinter dem Schlagzeugschemel und ist mit Duct-Tape auf einem Frühstücksbrettchen fixiert. Effektgeräte heißen bei Schneider „Ratte“ oder „Tretmine“, gegessen werden Kartoffelchips.

Aufgenommen werden alle Instrumente gleichzeitig, und dabei steht Schneider mitten zwischen der Band, eine Selbstgedrehte zwischen den Zähnen, rudert mit den Armen, schneidet Grimassen zu den Gitarrenriffs und gibt Einsätze. Alle sollen „gemeinsam schwitzen“, sagt er. Und das immer wieder: Take folgt auf Take, „manchmal 40-mal“, lächelt Schneider, der bei den Aufnahmen euphorischer wirkt als die norddeutsch zurückhaltende Band. Eine neue Erfahrung auch für Kettcar-Gitarrist Erik Langer: „Das ist extrem emotional, fast ein bisschen freakig.“

Tatsächlich wirkt der Kettenraucher Schneider ganz und gar nicht wie einer der üblichen Knöpfchendreher, die sich Produzent nennen. Für den technischen Ablauf ist ein Assistent zuständig, und der sagt nur leicht ironisch: „Wir machen alles Mögliche, um keinen sauberen Sound zu haben.“ Schneider ist eher ein Dirigent, und tatsächlich ist seine Arbeitsweise bei Klassik- und Jazz-Aufnahmen bis heute Standard. In der üblichen Rockproduktion allerdings wird jeder Musiker einzeln in den Aufnahmeraum geschickt, gewöhnlich zuerst Schlagzeuger, dann Bassist und schließlich Keyboarder und Gitarristen.

Aufgenommen wird heute gewöhnlich zum Clicktrack, einem elektronischen Metronom, mit dem die einzelnen Spuren dann anschließend im Computer synchronisiert werden können: „Kein Clicktrack, darauf haben wir uns spezialisiert“, sagt Schneider. Mit seiner in der europäischen Rockmusik nahezu einzigartigen Methode will der gebürtige Berliner herausarbeiten, was er „Spielgefühl“ nennt. „Spielgefühl“ ist Schneiders Lieblingswort. Öfter sagt er nur noch „coole Scheiße“. Dann nämlich, wenn er es geschafft hat, bei einer Band dieses Spielgefühl zu evozieren. Es bezeichnet jene seltsame Magie, die entsteht, wenn Menschen zusammen Musik machen, wenn etwas entsteht, was mehr ist als die Summe der einzelnen Teile. „Das, was eine Band einzigartig macht, das ist ja das Gefühl für Timing und für Tempo“, sagt Schneider, „und das will ich auf Band bringen.“

Gelernt hat der aus einer Musikerfamilie stammende Schneider sein Handwerk in den legendären Hansa-Studios. Dort, wo wegweisende Alben von U2, Depeche Mode, David Bowie oder später Nick Cave entstanden, hat er nach einem drei Wochen währenden Studium als Kaffeekocher angefangen und dann jahrelang als Assistent gearbeitet. Ende der Achtzigerjahre standen dann plötzlich die Pixies im Studio und wollten einen Song aufnehmen für ihr Album „Bossanova“. Schneider war zwar ganz allein, aber stellte den Post-Punkern kurzentschlossen die Regler ein. Die dankten es ihm mit einem Vermerk auf der Platte, seinem ersten.

Mittlerweile ist das „Wunderkind“ (Tagesspiegel) zum „Starproduzent“ (taz) aufgestiegen, ist einer gar, der Bands einen Sound verpasst, der „international konkurrenzfähig“ (Die Zeit) ist. Zuletzt wurde sogar das Londoner Dancefloor-Duo Basement Jaxx vorstellig und hat sich vom Rockproduzenten Schneider aufnehmen lassen. Auch sie dürften an dem nach Selbsteinschätzung Besessenen geschätzt haben, was Tocotronics Dirk von Lowtzow so beschreibt: „Moses ist verrückt, aber auch extrem effektiv.“ Der Verrückte selbst glaubt allerdings, dass seine ganze Zunft demnächst kaum noch vonnöten sein wird. „Der Produzent wird aussterben“, sagt Schneider. Studios werden wegen der sinkenden Umsätze im Musikgeschäft zukünftig kaum noch finanziert werden können.

Eine Alternative könnte eine Weiterentwicklung seiner Arbeitsweise sein. Schon jetzt bereitet Schneider mit den Bands in deren Probenraum „ohne Zeit- und Geldstress“ die Aufnahmen vor, oft wochenlang. Diese Aufnahmen erfolgen dann schon heute mit kleinem Equipment, das in einem Pkw transportiert werden kann. „Der Übungsraum ist das Tonstudio von morgen“, prophezeit Schneider der Rockmusik eine Entwicklung, wie sie in der elektronischen Musik schon Gegenwart ist.

Erst einmal aber gilt es, den richtigen Sound zu finden für den Song, der den Arbeitstitel „Würde“ trägt. „Zu muffig“, findet einer den Klang. „Es müsste mehr brezeln“, sagt ein anderer. „Bratfettig“, „altbacken“, „doomig“, „wie ein Rasierapparat“.

Das größte Talent von Schneider ist es wohl, diese so ziel- wie endlosen, entnervenden Diskussionen geschickt zu manipulieren und die Band davor zu bewahren, sich in der eigenen Detailverliebtheit zu verlieren und zu viel an Kleinigkeiten zu tüfteln. „90 Prozent Psychologie“ sei sein Job, sagt er. Und: „Mir kommt es so vor, als sei ich ein Fußballtrainer.“ Der stellt die Mannschaft auf, aber spielen müssen die anderen. Und das tun sie. Bis sich im Laufe des Nachmittags „Würde“ ganz vorsichtig verändert. Langsam, aber sicher wird der Song immer kompakter, der Kühlschrank immer leerer, und plötzlich, irgendwann, auf einmal, bringen Kettcar das Stück auf den Punkt.

Die Musik verklingt, ein paar verlorene Rückkopplungen irren noch durch den Raum, Moses Schneider hat die Arme hochgerissen wie ein Stürmer nach dem Tor und blickt in die Runde. Und jeder weiß: Das war der Moment. Das war jetzt „coole Scheiße“.