Merkels schlechtes Gewissen
: KOMMENTAR VON LUKAS WALLRAFF

Es war ein Glück im Unglück, dass Recep Tayyip Erdogan ausgerechnet in dieser Woche zu einem lange geplanten Besuch nach Deutschland kam. Der türkische Ministerpräsident hat mit seinen klugen Worten am Ort der Brandkatastrophe in Ludwigshafen, vor allem mit seinem Lob für die deutsche Polizei und die Feuerwehr, entscheidend dazu beigetragen, die türkischen Medien zu bremsen, die tagelang vorschnell einen Verdacht als Fakt darstellten. Erdogan half, das Misstrauen abzubauen und die türkischstämmigen Bürger zu beruhigen. Die deutschen Politiker, die das allein nicht schafften, müssten dem Gast aus Ankara also dankbar sein.

Erst recht ist zu begrüßen, dass Erdogan die türkischen Migranten zur Integration aufruft und an sie appelliert, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Manchen Parlamentariern in Berlin geht Erdogans Engagement in Deutschland jedoch zu weit. Sie kritisieren den türkischen Regierungschef, weil er am Sonntag in Köln türkisch reden möchte, ohne Übersetzer. Andere halten ihm vor, er wolle mit seinen Auftritten nur innenpolitisch punkten. Dieser Vorwurf ist zwar nicht aus der Luft gegriffen, aber ziemlich billig. Welcher Politiker auf Auslandsreisen denkt nicht ans heimische Publikum?

Sicher möchte sich auch Erdogan profilieren – als Vater aller Türken, inklusive jener, die in Deutschland leben. Doch könnte er diese Rolle so erfolgreich spielen, wenn die 2,7 Millionen Deutschtürken zwischen Flensburg und Garmisch wirklich akzeptiert und angenommen würden? Die Kritik an Erdogan zeigt deshalb vor allem eines: dass er einen wunden Punkt getroffen hat. Die Integration funktioniert noch nicht. Aus den Äußerungen der Kanzlerin, die am Freitag von einem „gemeinsamen Land“ sprach, das sie mit den Migranten bauen wolle, war schlechtes Gewissen herauszuhören.

Angela Merkels freundliche Worte helfen wenig, solange sie durch ihre eigene Politik konterkariert werden. Wer dafür sorgt, dass hier geborene Migrantenkinder bei Fehlverhalten abgeschoben werden, und wer fremdenfeindliche Wahlkämpfer wie Roland Koch ausdrücklich unterstützt, darf sich nicht wundern, dass sich viele Deutschtürken Erdogan zuwenden.