Sachbeschädigung war gestern

Die Kunsthalle Dominikanerkirche und die Hamburger „Reinkingprojekte“ zeigen in Osnabrück Street Art, Graffiti und Urbane Kunst. Dabei lässt sich beobachten, wie der ehemalige Bastard Straßenkunst allmählich in der Kunstszene ankommt

Die meisten können von ihrer Arbeiten gut leben, einige haben Familie, und sie erfahren zunehmend Anerkennung

AUS OSNABRÜCK THORSTEN STEGEMANN

Es noch nicht lange her, dass der deutsche Durchschnittsbürger ungerührt die 110 wählte, wenn er in der Nähe seines Eigenheims ein Graffiti entdeckte. Und mitunter kommt es auch heute noch zum Konflikt mit der Ordnungsmacht. Denn die sprühenden, malenden und installierenden Freiluftkünstler machen sich rein juristisch schon einer Sachbeschädigung schuldig, wenn sie an der optischen Erscheinung ihres Arbeitsmaterials – Hauswände, Garagentore oder Laternenpfähle – „erhebliche Veränderungen“ vornehmen.

Allerdings muss das Delikt angezeigt werden, um die Strafverfolgungsbehörden in Bewegung zu setzen, und das geschieht offenbar immer seltener. Die farbenfrohen, experimentierfreudigen, nicht selten sozial- oder gesellschaftskritischen Bilder gehören längst zum städtischen Alltag. Werbeagenturen und Marketingabteilungen begeistern sich für die schrillen Optiken, und mittlerweile haben sie sogar den Weg ins Museum gefunden. In der Osnabrücker Kunsthalle Dominikanerkirche sind derzeit Arbeiten von 15 Künstlern aus Europa, den USA und Südamerika zu sehen.

Einer von ihnen ist Daniel Man. Der 1969 in London geborene Hongkong-Chinese begeisterte sich schon als 13-Jähriger für Graffitis aller Art, stellte aber mit zunehmendem Alter fest, dass er als Autodidakt an seine Grenzen stieß: „Auch innerhalb der Szene ging es irgendwann nicht mehr weiter, da mussten einfach neue Ideen her“, erinnert sich Man. Also studierte er bei Walter Dahn an der Hochschule für bildende Künste Braunschweig und ging anschließend als Meisterschüler von Markus Oehlen an die Akademie der bildenden Künste München.

Heute gehört Daniel Man nach zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen zu den renommierten Künstlern einer Stilrichtung, für die es eigentlich keinen Namen gibt. „Urban Art“ komme der Sache schon ziemlich nahe, meint Kurator Rik Reinking, Spiritus rector der Hamburger Agentur „Reinkingprojekte“. Wenn es nach ihm geht, können sich die Kritiker mit der kunstgeschichtlich korrekten Etikettierung allerdings auch noch Zeit lassen. „Viel wichtiger ist, dass die Bewegung jung und dynamisch bleibt und permanent innovative Ideen und Stile entwickelt. Wenn die Künstler in eine Schublade gesteckt und vom Markt kastriert werden, liegt das Spannendste schon wieder hinter uns.“

Noch ist es offenbar nicht so weit. In der Osnabrücker Kunsthalle hat sich ein wildes Crossover breitgemacht, in dem Sub- und Popkultur ebenso ihre Spuren hinterlassen haben wie Comic, Trash und Werbung. Die meisten Arbeiten wurden von den ausstellenden Künstlern direkt vor Ort geschaffen, so die explosiven Farb- und Materialmischungen von Mirko Reisser (Künstlername: DAIM) oder Brad Downey, die neue ästhetische Akzente setzen.

Eine Kritik an der Konsumgesellschaft formulieren Arbeiten wie das Kruzifix von D*Face, das mit Logos und Markennamen übersäht ist oder ein auslaufendes Nike-Zeichen von „Zevs“ die Konsumgesellschaft. Ähnliches gelingt Mark Jenkins mit seinen irritierenden, beängstigenden Skulpturen, die an verschiedenen Stellen liegen, sitzen oder stehen. Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass diesen an den Rand gedrängten Körpern ihr Gesicht genommen wurde oder die Oberkörper unmenschliche Formen angenommen haben.

Diese und viele andere Arbeiten verweisen darauf, dass die „Urban Art“ auch als politischer Kommentar verstanden werden will. „Wir sind nicht nur von Konsumgütern umringt, viele Menschen nehmen sich mittlerweile selbst als Produkt wahr und inszenieren sich entsprechend. Wer beachtet werden will, braucht unbedingt sein eigenes Logo“, meint Rik Reinking. Die Kunst kann diese Neurosen zwar spielerisch auflösen, die Menschen aber nur bedingt aus gesellschaftlichen Zwängen befreien. Denn auch sie ist einem Markt unterworfen, und der gehorcht den Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus. Die in der Dominikanerkirche ausgestellten Künstler müssen nicht befürchten, wegen „Sachbeschädigung“ zur Verantwortung gezogen zu werden. Reinking ordnet sie einem „sehr hohen Preissegment“ zu. Die meisten können von ihrer Arbeiten gut leben, einige haben Kinder und Familie, sie kennen sich von gemeinsamen Events und erfahren zunehmend nationale und internationale Anerkennung.

Völlig abgenabelt von ihrer Straßenherkunft hat sich die Urban Art jedoch noch nicht. Kunsthallen-Leiter André Lindhorst ist das Recht. Die Ausstellung, sagt er, solle Sehgewohnheiten und Denkroutinen durchbrechen und „die Grenze zwischen Straße und Museum überwinden“.

„Fresh air smells funny“: Street Art, Graffiti und Urbane Kunst, 25. Januar bis 30. März, Kunsthalle Dominikanerkirche, Osnabrück