Großplakate schauen dich an

Mit großem Aufwand und in mehreren „Wellen“ haben die Parteien in Niedersachsen ihre Plakataktionen geplant. Die öffentliche Selbstinszenierung kann jedoch leicht nach hinten losgehen. Eine Analyse zur Landtagswahl am Samstag

Die Grünen

Ja, die niedersächsischen Grünen haben eine Spitzenkandidatin. Nur: Von Ursula Helmold hat man noch nicht so wirklich viel gehört. Deshalb haben sich die Grünen offenbar entschieden, lieber keinen personalisierten Wahlkampf zu führen. Auf ihren Plakaten gibt es statt einer Spitzenkandidatin, die aussieht wie eine niedersächsische Grüne, einen Maiskolben, der aussieht wie eine Handgranate, eine Weltkugel, die aussieht wie ein Herz und eine Katze, die aussieht wie Hitler. Man merkt es gleich: Die Grünen setzen auf Themen.

„Nazis erkennt man nicht immer auf den ersten Blick“, steht auf dem Hitler-Katzen-Plakat. In diesem Fall ist der Nazi aber auch auf den zweiten Blick nicht zu erkennen. „Hitler war kein Tier, sondern ein Mensch!“, schreibt deshalb eine Christine im Katzenkenner-Fachforum bei www.katzen-links.de. Überhaupt scheinen die Grünen mit ihrer Plakatidee zumindest bei den KatzenspezialistInnen richtig daneben gegriffen zu haben. Gerda zum Beispiel „hätte den Grünen so einen geistigen Ausrutscher nicht zugetraut“.

Dabei ist die Nazi-Katze gar kein geistiger Ausrutscher. Die Grünen setzen Themen auf die Agenda, deren Gefahrenpotential noch gar nicht zu erkennen ist. Die Nazi-Katze ist nämlich bereits unter uns. Still und heimlich hat sie es sich in der Mitte der Gesellschaft gemütlich gemacht. Beweise liefert das aufklärerische Watchblog www.catsthatlooklikehitler.com. PHI

CDU

War da nicht was? Eine Trennung, eine neue Frau und ein ungeborenes Baby im Leben des amtierenden Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU), was dessen Gegenspieler Jüttner (SPD) samt Gattin in einem Bunte-Interview auszuschlachten versuchte? Dieses Plakat, lange vorher geplant, könnte die Antwort sein. Es zeigt den Landesvater inmitten seiner Landestöchter, die alle zufällig Schornsteinfegerinnen sind. Eine von ihnen bestreicht zärtlich seine Wange mit Ruß. Christian Wulff, der Mann, den die Frauen lieben, könnte die Botschaft lauten. Allerdings wirken die Schornsteinfegerinnen im Hintergrund leicht verschwommen, so als seien sie nachträglich reinretuschiert worden. Wulff scheint nah beim Volk zu sein, aber er ist nicht wirklich da. Bei allen Plakaten dieses Wahlkampfs, die ihn unter Menschen zeigen, ist das so. Macht macht einsam. WIE

SPD

Wolfgang „Wolle“ Jüttner, SPD, wird ja nachgesagt, er sei so blass und trocken und unbekannt. Ein studierter Soziologe und Germanist, ehemals Dozent an der Heimvolkshochschule Springe, dem Rock’n’Roll recht fern. Nahe liegend war da, dass die Genossen den Star-Fotografen Jim Rakete engagierten, um ihren Wolfgang auf dem Foto mit Glamour anzureichern – schließlich hat Rakete schon Jimi Hendrix und Mick Jagger ins rechte Bild gesetzt. Und jetzt? Lächelt ein gut rasierter Schnauzbartträger vor grauem Hintergrund in die Kamera, die Hand lässig an der Wange, als wollte er sagen: „Ich bin nett, Sie sollten mir den Job bei der Sparkasse geben.“ Rechts neben seinem Foto ist alles en bloc SPD-rot. Insgesamt sieht es aus, als ginge ein Vorhang auf, hinter dem Jüttner zum Vorschein kommt. Jüttner? Nein: Raketen-Wolle! Auf die Bühne, bitte! KLI

Die Linke

Ein werbewirksames Foto für das Wahlplakat? Ja, sind wir denn bei der SPD? Nein, die Linke in Niedersachsen dreht in Sachen Bildsprache ihr eigenes Ding. Statt eines Kandidaten gibt es acht, statt eines professionellen Fotos gibt es einen dilettantischen Schnappschuss Marke „Stellt Euch doch mal bitte alle vor die Wand“. Das Provisorische wird unterstrichen durch die fingierten Tesastreifen, mit denen das Foto angeklebt zu sein scheint, als wär’s der alte Kühlschrank in der WG-Küche. Spontan und authentisch soll das wirken, eben „Original Sozial“. Daneben gibt es einen vollgepackten Text-Block, der genauso viel Platz einnimmt wie das Foto. Die Botschaft des Arrangements: Wir können uns zwar nicht gut verkaufen, aber wir sind voller Inhalte. Das spricht alle an. Oder ist da draußen irgendwer, der nicht das gleiche Problem hat, wie Niedersachsens Linke? KLI

FDP

Der Mann auf dem Plakat hat noch seinen Mantel an, offenbar hat er es eilig, wichtige Termine warten – doch für Sie, liebe Wählerinnen und Wähler, hat er sich Zeit genommen. Der Augenarzt Philipp Rösler, FDP, ist seit zwei Jahren Landesvorsitzender in Niedersachsen und gilt als Hoffnungsträger seiner Partei. Der schlecht wegretuschierte Bartschatten lässt ihn noch jünger wirken, als er ohnehin ist. Die auf einen Migrationshintergrund deutenden Gesichtszüge – Rösler wurde mit neun Monaten aus Vietnam adoptiert – unterstreichen die Offenheit einer Partei, die jeden willkommen heißt, der Leistung bringt. Und das tut der Mann auf dem Plakat offenbar, wie sein Siegerlächeln zeigt, das kurz vor dem Zuschnappen innehält. So einer bleibt in der Mitte, und wenn die CDU im Wahlkampf weich wird und Zugeständnisse macht, ist das nicht sein Problem. WIE